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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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sprechen.
    »Reden wir über Dad«, sagte er, und das taten sie. Und es war, als erhielte Hugh endlich die Totenwache, die er verdiente.
    Am nächsten Morgen fuhr Teddy mit dem Zug nach Fox Corner, wo er ein paar Tage bleiben wollte, und Ursula sagte: »Willst du nicht noch einen Evakuierten mitnehmen?«, und gab ihm Lucky. Wenn sie in der Arbeit war, blieb er den ganzen Tag allein in der Wohnung, doch wenn sie Dienst in ihrem Posten hatte, nahm sie ihn oft mit, und alle behandelten ihn wie ein Maskottchen. Sogar Mr. Bullock, der kein Hundeliebhaber zu sein schien, brachte Essensreste und Knochen für ihn mit. Manchmal aß der Hund besser als sie. Trotzdem war London während des Kriegs kein Ort für einen Hund, erklärte sie Teddy. »Der Lärm muss ihn schrecklich beunruhigen.«
    »Ich mag diesen Hund«, sagte er und streichelte ihm den Kopf. »Er ist ein sehr unkomplizierter Hund.«
    Sie brachte sie nach Marylebone. Teddy nahm den Hund unter den Arm und salutierte, eine liebe und zugleich ironische Geste, bevor er in den Zug stieg. Es tat ihr nahezu ebenso leid, den Hund gehen zu sehen, wie sich von Teddy zu verabschieden.

    Sie hatten sich zu früh gefreut. Im Mai erfolgte ein brutaler Angriff.
    Ihre Wohnung in Phillimore Gardens wurde getroffen. Weder Ursula noch Millie waren Gott sei Dank zu Hause, das Dach und der oberste Stock wurden zerstört. Ursula zog einfach wieder ein und zeltete eine Weile. Das Wetter war nicht schlecht, und in gewisser Weise genoss sie es. Es gab Wasser, wenn auch keinen Strom, und jemand in der Arbeit lieh ihr ein altes Zelt, und sie schlief unter Segeltuch. Das letzte Mal hatte sie in Bayern gezeltet, als sie die Brenner-Mädchen im Sommer auf ihrem BDM-Ausflug in die Berge begleitet hatte. Sie hatte gemeinsam mit Klara, der Ältesten, in einem Zelt geschlafen. Sie waren enge Freundinnen geworden, doch seit Kriegsbeginn hatte sie nichts mehr von Klara gehört.
    Crighton amüsierte das Arrangement al fresco, »als würde man im Indischen Ozean auf Deck schlafen, unter den Sternen«. Sie war kurz neidisch, da sie noch nicht einmal in Paris gewesen war. Die München-Bologna-Nancy-Achse definierte die Grenzen der ihr bekannten Welt. Zusammen mit ihrer Freundin Hilary – das Mädchen, das im Büro auf einem Klappbett schlief – hatte sie vorgehabt, mit dem Rad durch Frankreich zu fahren, aber der Krieg hatte ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Alle steckten auf dem königlichen Eiland fest. Wenn man zu lange darüber nachdachte, konnte man klaustrophobisch werden.
    Als Millie von ihrer Tour zurückkehrte, erklärte sie Ursula für verrückt und bestand darauf, eine neue Unterkunft zu suchen, und sie zogen in eine schäbige Wohnung in Lexham Gardens. Sie wusste, dass sie diese Wohnung nie mögen würde. (»Wir könnten zusammenleben, wenn du willst«, sagte Crighton. »Eine kleine Wohnung in Knightsbridge?« Sie lehnte ab.)
    Das war noch nicht das Schlimmste. Bei demselben Luftangriff wurde auch ihr Posten getroffen, und Herr Zimmermann und Mr. Simms kamen dabei ums Leben.
    Bei Herrn Zimmermanns Beerdigung spielte ein Streichquartett, dessen Mitglieder alle Flüchtlinge waren, Beethoven. Im Gegensatz zu Miss Woolf war Ursula der Ansicht, dass es mehr als die Werke des großen Komponisten brauchte, um die Wunden zu heilen. »Ich habe sie vor dem Krieg in der Wigmore Hall gehört«, flüsterte Miss Woolf. »Sie sind sehr gut.«
    Nach dem Begräbnis suchte Ursula Fred Smith in seiner Feuerwache auf, und sie mieteten in einem schmuddligen kleinen Hotel nahe Paddington ein Zimmer. Später, nach dem Sex, der ebenso unwiderstehlich war wie beim ersten Mal, schliefen sie zum Geräusch vorbeifahrender Züge ein, und sie dachte noch, dass er dieses Geräusch vermissen musste.
    Als sie erwachten, sagte er: »Tut mir leid, dass ich mich das letzte Mal wie ein Arsch verhalten habe.« Er ging los und kam mit zwei Tassen Tee zurück. Sie nahm an, dass er jemanden vom Hotel mit seinem Charme bezirzt hatte, es sah nicht so aus, als hätte es eine Küche, ganz zu schweigen von Zimmerservice. Er war wie Teddy von Natur aus charmant, es hatte etwas mit ihrem aufrechten Charakter zu tun. Jimmys Charme war anders, vielleicht weniger redlich.
    Sie saßen im Bett, tranken Tee und rauchten Zigaretten. Sie dachte an Donnes Gedicht: »Die Reliquie«, eins ihrer Lieblingsgedichte – von goldenem Haar umschlungenes Gebein  –, verzichtete jedoch darauf, es zu zitieren, da es das letzte Mal nicht

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