Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
Vom Netzwerk:
Wir haben ihn verloren.«
    »Dann werden wir ihn suchen.«
    »Nein. Offiziell gilt er als ›vermisst‹.«
    »Dann ist er nicht tot «, sagte Ursula. »Wo?«
    »Berlin vor zwei Nächten.«
    »Er ist abgesprungen und gefangen genommen worden«, sagte Ursula, als würde sie eine Tatsache feststellen.
    »Nein, leider nicht«, sagte Maurice. »Sein Flugzeug brannte, niemand konnte abspringen.«
    »Woher willst du das wissen? «
    »Man hat es gesehen, ein Augenzeuge, ein anderer Pilot.«
    »Wer? Wer hat es gesehen?«
    »Ich weiß es nicht.« Er verlor langsam die Geduld.
    »Nein«, sagte sie wieder. Und dann noch einmal, nein. Ihr Herz raste, und ihr Mund wurde trocken. Ihre Sicht verschwamm, und sie sah Punkte, ein pointilistisches Gemälde. Sie war dabei, ohnmächtig zu werden.
    »Alles in Ordnung?«, hörte sie Maurcie sagen.
    Alles in Ordnung, dachte sie, alles in Ordnung? Wie sollte alles in Ordnung sein?
    Sie hörte Maurice’ Stimme wie aus weiter Entfernung. Er rief nach einem Mädchen. Ein Stuhl wurde gebracht, ein Glas Wasser geholt. Das Mädchen sagte: »Hier, Miss Todd, lassen Sie den Kopf nach unten auf die Knie hängen.« Das Mädchen war Miss Fawcett, ein nettes Mädchen. »Danke, Miss Fawcett«, sagte sie leise.
    »Mutter hat es auch schwer getroffen«, sagte Maurice, als würde ihn die Trauer verwirren. Er hatte Teddy nie so geliebt, wie alle anderen ihn liebten.
    »Na gut«, sagte er und tätschelte ihr die Schulter, sie bemühte sich, nicht zusammenzuzucken, »ich muss zurück ins Büro, wir sehen uns in Fox Corner«, fügte er nahezu beiläufig hinzu, als wäre der schlimmste Teil des Gesprächs überstanden und sie könnten jetzt mit dem angenehmeren Teil fortfahren.
    »Warum?«
    »Was warum?«
    Sie setzte sich auf. Das Wasser im Glas bebte leicht. »Warum werden wir uns in Fox Corner sehen?« Sie spürte im Hintergrund die besorgte Anwesenheit von Miss Fawcett.
    »Also, eine Familie versammelt sich zu Anlässen wie diesem«, sagte er. »Schließlich wird es kein Begräbnis geben.«
    »Nein?«
    »Nein, natürlich nicht. Es gibt keine Leiche«, sagte er. Zuckte er die Achseln? Ja? Sie zitterte und dachte, dass sie vielleicht doch ohnmächtig werden würde. Sie wünschte, jemand würde sie in die Arme nehmen. Nicht Maurice. Miss Fawcett nahm ihr das Glas aus der Hand. Maurice sagte: »Ich werde dich natürlich mit dem Wagen mitnehmen. Mutter klang schrecklich elend«, fügte er hinzu.
    Hatte er es ihr am Telefon gesagt? Wie grausam, dachte sie benommen. Aber vermutlich war es nicht wichtig, wie man es erfuhr. Dennoch, wie Maurice die Nachricht überbrachte in seinem dreiteiligen Nadelstreifenanzug, wie er an ihrem Schreibtisch lehnte und jetzt seine Fingernägel inspizierte und darauf wartete, dass sie sagte, mit ihr sei alles in Ordnung, er könne gehen …
    »Ich bin in Ordnung. Du kannst gehen.«
    Miss Fawcett brachte ihr heißen, süßen Tee und sagte: »Es tut mir so leid, Miss Todd. Soll ich mit Ihnen nach Hause kommen?«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen«, erwiderte Ursula, »aber es geht schon. Würden Sie mir meinen Mantel holen?«

    Er drehte die Uniformmütze in den Händen. Sie machten ihn durch ihre schiere Anwesenheit nervös. Roy Holt trank Bier aus einem großen gläsernen Bierkrug, in langen Zügen, als wäre er sehr durstig. Er war Teddys Freund, der Zeuge seines Todes. Der »andere Pilot«. Im Sommer 42 war Ursula zum letzten Mal hier gewesen und hatte Teddy besucht, sie hatten im Biergarten gesessen und Sandwiches mit Schinken und eingelegte Eier gegessen.
    Roy Holt war aus Sheffield, wo die Luft noch zu Yorkshire gehörte, vielleicht aber nicht so gut war. Seine Mutter und seine Schwestern waren bei den schrecklichen Luftangriffen im Dezember 1940 umgekommen, und er war entschlossen, erst wieder zu ruhen, wenn er eine Bombe direkt auf Hitlers Kopf abgeworfen hätte.
    »Gut für Sie«, sagte Izzie. Ursula fiel auf, dass sie eine ganz eigene Art mit jungen Männern hatte, sowohl mütterlich als auch kokett (während sie früher nur kokett gewesen war). Es war beunruhigend.
    Sobald sie die Nachricht gehört hatte, kam Izzie spornstreichs von Cornwall nach London, organisierte einen Wagen und eine Handvoll Bezingutscheine von »einem Mann in der Regierung, den sie kannte«, und dann fuhren sie beide nach Fox Corner und anschließend weiter zu Teddys Luftwaffenstützpunkt. (»Mit dem Zug schaffst du es nicht«, sagte sie, »du bist viel zu durcheinander.«) »Männer, die sie

Weitere Kostenlose Bücher