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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Harold Dr. Fellowes’ alte Praxis. Das Dorf war um viele Häuser gewachsen. Die Wiese war ebenso verschwunden wie das Wäldchen, die meisten Felder von Ettringham Hall waren an einen Bauunternehmer verkauft worden. Das Herrenhaus stand leer und verfiel. (Es wurde von einem Hotel gesprochen.) Der kleine Bahnhof hatte von Beeching, dem Vorsitzenden der Staatsbahn, das Todesurteil erhalten und war zwei Monate zuvor geschlossen worden trotz einer heroischen Kampagne, ihn beizubehalten, die Pamela angeführt hatte.
    »Aber es ist noch immer schön hier«, sagte sie. »Fünf Minuten zu Fuß, und du bist auf dem offenen Land. Und den Wald haben sie in Ruhe gelassen. Bis jetzt.«
    Sarah. Sie würde mit Sarah zu den Proms gehen. Pamelas Lohn für ihre Geduld – eine Tochter, geboren 1949. Sie sollte nach dem Sommer ihr Studium in Cambridge beginnen – Naturwissenschaften, sie war schlau, eine Allrounderin wie ihre Mutter. Ursula liebte Sarah. Ihre Tante zu sein hatte dabei geholfen, den Hohlraum in ihrem Herzen zu verschließen, der durch Teddys Tod entstanden war. Dieser Tage dachte sie oft – wenn sie nur ein eigenes Kind hätte … Im Lauf der Jahre hatte sie Affären gehabt, wenn auch nichts wirklich allzu Aufregendes (aufgrund von mangelndem »Engagement«, vor allem ihrerseits natürlich), aber sie war nie schwanger geworden, war nie Mutter oder Ehefrau gewesen, und erst, als ihr bewusst wurde, dass es zu spät war, dass sie all das nie mehr werden würde, begriff sie, was sie versäumt hatte. Pamelas Leben würde nach ihrem Tod fortgeführt, ihre Nachkommen würden sich auf der Welt verteilen wie das Wasser in einem Delta, doch wenn Ursula starb, wäre es einfach zu Ende. Ein Fluss, der ausgetrocknet war.

    Sie hatte auch Blumen bekommen, vermutlich ebenfalls Jacquelines Idee. Sie hatten den Abend im Pub Gott sei Dank überlebt. Wunderschöne rosa Lilien, die jetzt auf ihrem Sideboard standen und das Zimmer mit ihrem Duft erfüllten. Das Wohnzimmer ging nach Westen und saugte die Abendsonne auf. Draußen war es noch hell, die Bäume im Gemeinschaftsgarten trugen ihr bestes frisches Grün. Es war eine sehr schöne Wohnung, nahe der Oratorianerkirche in Brompton, und sie hatte das ganze Geld hineingesteckt, das Sylvie ihr hinterlassen hatte, um sie zu kaufen. Sie hatte eine kleine Küche und ein kleines Bad, beide modern, doch sie hatte das Moderne gemieden, als es um die Einrichtung ging. Nach dem Krieg hatte sie schlichte, antike Möbel gekauft, als niemand so etwas wollte. Die Wohnung war mit einem hellen weidengrünen Teppichboden ausgelegt, und die Vorhänge waren aus dem gleichen Stoff wie der Polsterbezug – ein Morris-Muster, eins der dezenteren. Die Wände waren in einem blassen Zitronengelb gestrichen, so dass die Wohnung leicht und luftig wirkte, sogar an verregneten Tagen. Es standen ein paar Stücke von Meißen und Worcester herum – Schalen und Teller für Süßes, Vasen und Urnen –, ebenfalls nach dem Krieg für wenig Geld erstanden, und sie hatte immer Blumen, was Jacqueline wusste.
    Den einzigen Misston bildeten zwei Staffordshire-Füchse, grelle orangefarbene Geschöpfe, von denen jedes einen toten Hasen in der Schnauze trug. Sie hatte sie vor Jahren in der Portobello Road billig gekauft. Sie erinnerten sie an Fox Corner.
    »Ich komme so gern zu dir«, sagte Sarah. »Du hast so hübsche Sachen, und es ist immer sauber und ordentlich, nicht wie zu Hause.«
    »Wenn man allein lebt, kann man es sich leisten, alles sauber und ordentlich zu halten«, sagte Ursula, aber das Kompliment schmeichelte ihr. Sie sollte vermutlich ein Testament machen und ihren weltlichen Besitz jemandem hinterlassen. Sie hätte die Wohnung gern Sarah vererbt, aber die Erinnerung an das Debakel mit Fox Corner nach Sylvies Tod ließ sie zögern. Sollte man jemanden so unverhohlen bevorzugen? Vielleicht nicht. Sie musste ihre Dinge zwischen allen sieben Nichten und Neffen aufteilen und auch die bedenken, die sie nicht so mochte oder nie sah. Jimmy hatte natürlich nicht geheiratet und hatte auch keine Kinder. Er lebte jetzt in Kalifornien. »Er ist homosexuell, das weißt du doch, oder?«, sagte Pamela. »Er hatte schon immer diese Neigung.« Es war eine Information, kein Tadel, doch ihrer Stimme war ein leiser Kitzel anzuhören und eine winzige Spur Selbstgefälligkeit, als wäre sie besser in der Lage, mit liberalen Ansichten zurechtzukommen. Ursula fragte sich, ob sie über Gerald und seine »Neigungen« Bescheid

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