Die Unvollendete: Roman (German Edition)
Ballsaal des Palastes unter dem Schwert der Königin einen Kniefall machte. »Oh, die Hybris dieses Mannes«, sagte Harold und lachte.
Miss Woolf wäre die ideale Begleitung zur Neunten in der Albert Hall gewesen. Ursula hatte sie das letzte Mal dort gesehen, bei dem Konzert zum fünfundsiebzigsten Geburtstag von Henry Wood 1944. Ein paar Monate später kam sie beim Raketenangriff auf die Aldwych Road um. Anne, die Freundin im Luftfahrtministerium, wurde bei demselben Angriff getötet. Sie hatte zusammen mit Kolleginnen auf dem Dach des Ministeriums ein Sonnenbad genommen und ihr Lunchpaket gegessen. Das war vor langer Zeit. Es war gestern.
Ursula hätte sich damals eigentlich in der Mittagspause mit ihr im St. James’s Park treffen sollen. Das Mädchen vom Luftfahrtministerium – Anne – wollte ihr etwas erzählen, und Ursula hatte sich gefragt, ob sie Informationen über Teddy hatte. Vielleicht hatten sie das Wrack oder die Leiche gefunden. Seit langem akzeptierte sie, dass er tot war, sie hätten mittlerweile etwas gehört, wenn er Kriegsgefangener gewesen oder nach Schweden entkommen wäre.
In letzter Minute hatte sich das Schicksal in Gestalt von Mr. Bullock eingeschaltet, der am Abend zuvor unerwartet vor ihrer Tür gestanden (woher wusste er ihre Adresse?) und sie gefragt hatte, ob sie für ihn vor Gericht als Leumundszeugin auftreten würde. Ihm wurde wegen eines Schwarzmarktbetrugs der Prozess gemacht, was wiederum keine Überraschung war. Sie war nach Miss Woolf seine zweite Wahl, denn Miss Woolf war jetzt für einen ganzen Distrikt zuständig und für das Leben von zweihundertfünfzigtausend Personen verantwortlich, die in ihrer Wertschätzung alle höher rangierten als Mr. Bullock. Seine Schwarzmarkt-»Eskapaden« hatten sie letztlich gegen ihn eingenommen. Von den Luftschutzhelfern ihres Postens, die Ursula gekannt hatte, waren 1944 keine mehr da.
Sie war beunruhigt, als sie erfuhr, dass Mr. Bullock in Old Bailey erscheinen musste, sie hatte angenommen, dass er eines kleineren Vergehens beschuldigt wurde, das vor einem Amtsgericht verhandelt wurde. Sie wartete den ganzen Morgen vergeblich darauf, aufgerufen zu werden, und gerade als sich das Gericht für die Mittagspause vertagte, hörte sie den dumpfen Knall einer Explosion, wusste jedoch nicht, dass es der Raketeneinschlag in der Aldwych war. Unnötig zu erwähnen, aber Mr. Bullock wurde in allen Anklagepunkten freigesprochen.
Crighton hatte sie zur Beerdigung von Miss Woolf begleitet. Er war ein Fels in der Brandung, aber letztlich war er in Wargrave geblieben.
»Sie sind im Frieden begraben, aber ihr Name lebt ewiglich«, dröhnte der Pfarrer, als wären die Versammelten schwerhörig. »Sirach 44,14.« Ursula glaubte es nicht. Wer würde sich an Emil oder Renee erinnern? Oder an den kleinen Tony, an Fred Smith. Miss Woolf. Ursula hatte die Namen der meisten Toten bereits vergessen. Und alle die Männer in den Flugzeugen, alle diese ausgelöschten jungen Leben. Als Teddy starb, war er Staffelführer und erst neunundzwanzig Jahre alt gewesen. Der jüngste Staffelführer war zweiundzwanzig. Die Zeit hatte sich für diese Jungs beschleunigt, genau wie für Keats.
Sie sangen »Vorwärts, Christi Streiter«, Crighton hatte einen schönen Bariton, den sie nie zuvor gehört hatte. Sie war sicher, dass Miss Woolf Beethoven lieber gewesen wäre als die überschwenglichen Schlachtlieder der Kirche.
Miss Woolf hatte gehofft, dass Beethoven die Nachkriegswelt heilen würde, doch die auf Jerusalem zielenden Haubitzen bedeuteten die endgültige Niederlage ihres Optimismus. Ursula war jetzt so alt, wie Miss Woolf beim Ausbruch des letzten Kriegs gewesen war. Ursula hatte sie damals für alt gehalten. »Und jetzt sind wir alt«, sagte sie zu Pamela.
»Du sprichst nicht für mich. Und du bist noch nicht mal sechzig. Das ist nicht alt.«
»Fühlt sich aber so an.«
Sobald ihre Kinder größer waren und nicht mehr ständig von ihr beaufsichtigt werden mussten, war Pamela zu einer Frau geworden, die gute Werke tat. (Ursula war nicht kritisch und dagegen, ganz im Gegenteil.) Sie wurde Friedensrichterin und später Oberrichterin, war in Wohltätigkeitsorganisationen aktiv und im Jahr zuvor als unabhängige Kandidatin in den Gemeinderat gewählt worden. Und sie musste den Haushalt führen (obwohl sie eine Frau hatte, »die die Arbeit macht«) und den riesigen Garten pflegen. 1948, als das staatliche Gesundheitssystem ins Leben gerufen wurde, übernahm
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