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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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während er auf die Leinwand starrte. Wie sollte er es am besten anstellen?, fragte er sich.

    Die Sandburg war Ursulas Vorschlag. Sie sollten die beste Sandburg aller Zeiten bauen, sagte sie zu Pamela. Sie hatte ein so lebhaftes Bild dieser Zitadelle aus Sand heraufbeschworen – Burggraben und Türmchen und Zinnen –, dass Pamela nahezu vor sich sah, wie die mittelalterlichen Damen mit ihren Schleiern den Rittern nachwinkten, die auf Pferden über die Zugbrücke davonritten (für diesen Zweck musste ein Stück Treibholz gesucht werden). Sie hatten sich mit all ihrer Energie an die Aufgabe gemacht, waren jedoch noch immer mit Aushubarbeiten beschäftigt, gruben einen doppelten Burggraben, der sich bei Flut mit Wasser füllen sollte, um die verschleierten Damen vor gewalttätigen Belagerern (jemandem wie Maurice) zu schützen. Roland, ihr stets zuvorkommender Lakai, wurde losgeschickt, um den Strand nach dekorativen Steinen und der unerlässlichen Zugbrücke abzusuchen.
    Sie waren ein Stück weit entfernt von Sylvie und Bridget, die in ihre Bücher vertieft waren, während das neue Baby Edward – Teddy – auf einer Decke im Schatten eines Sonnenschirms schlief. Maurice spielte in Gezeitentümpeln am anderen Ende des Strands. Er hatte Freunde gefunden, ungeschlachte Jungen aus dem Ort, mit denen er schwimmen ging oder auf Klippen kletterte. Jungen waren Jungen für Maurice. Er hatte noch nicht gelernt, sie nach ihrem Akzent und sozialen Status zu unterscheiden.
    Maurice hatte etwas Unverwüstliches, und nie schien sich jemand um ihn Sorgen zu machen, am allerwenigsten seine Mutter.
    Bosun war leider bei den Coles zurückgelassen worden.
    Auf altbewährte Weise häuften sie den Sand aus dem Burggraben in der Mitte zu einem Hügel auf als Baumaterial für die zu errichtende Festung. Beide Mädchen, die vor Anstrengung bereits schwitzten und verschmutzt waren, traten einen Schritt zurück, um den formlosen Haufen zu betrachten. In Pamela begannen sich Zweifel wegen der Türmchen und Zinnen zu regen, die verschleiertern Frauen schienen noch unwahrscheinlicher. Der Haufen erinnerte Ursula an etwas, aber an was? Etwas Vertrautes, doch Nebulöses und Undefinierbares, es war nichts weiter als eine Form in ihrem Kopf. Sie neigte zu diesen Empfindungen, als würde eine Erinnerung widerwillig aus ihrem Versteck gelockt. Sie nahm an, dass es allen so erging.
    Dann trat Angst an die Stelle dieses Gefühls, auch eine Spur Aufregung war dabei, wie sie aufkommt, wenn ein Gewitter aufzieht oder Nebel auf dem Meer auf die Küste zukriecht. Gefahr konnte überall lauern, in den Wolken, den Wellen, den kleinen Segelbooten am Horizont, dem Mann, der an der Staffelei malte. Sie trabte zielgerichtet mit ihren Ängsten zu Sylvie, um sich beruhigen zu lassen.
    Ursula war ein sonderbares Kind, fand Sylvie, voller beklemmender Vorstellungen. Ständig musste sie Ursulas ängstliche Fragen beantworten – Was tun wir, wenn unser Haus brennt? Unser Zug mit einem anderen zusammenstößt? Der Fluss über die Ufer tritt? Nicht sie als unwahrscheinlich abzutun, sondern praktischer Rat, hatte Sylvie festgestellt, war der beste Weg, um diese Ängste zu beschwichtigen (Wir nehmen unsere Sachen, Liebes, und steigen aufs Dach und warten, bis das Wasser gesunken ist) .
    Unterdessen hob Pamela stoisch weiter den Burggraben aus. Mr. Winton war vollkommen darauf konzentriert, mit feinen Pinselstrichen Pamelas Sonnenhut zu malen. Was für ein glücklicher Zufall, dass die zwei kleinen Mädchen beschlossen hatten, ihre Sandburg mitten in seiner Komposition zu bauen. Er überlegte, ob er das Bild Die Erdarbeiterinnen betiteln sollte. Oder Die Sandarbeiterinnen.
    Sylvie war über dem Geheimagent eingedöst und ließ sich nur ungern wecken. »Was ist los?«, sagte sie. Sie blickte den Strand entlang und sah Pamela eifrig graben. Geschrei und wildes Gejuchze in der Ferne deuteten auf Maurice.
    »Wo ist Roland?«, fragte sie.
    »Roland?«, sagte Ursula und schaute sich nach ihrem willigen Sklaven um und entdeckte ihn nirgends. »Er sucht nach einer Zugbrücke.« Sylvie war aufgesprungen und sah sich noch einmal ängstlich am Strand um.
    »Eine was?«
    »Eine Zugbrücke«, wiederholte Ursula.

    Sie vermuteten, dass er ein Stück Holz im Meer gesehen hatte und fügsam hinausgewatet war, um es zu holen. Er begriff nicht wirklich, was Gefahr bedeutete, und konnte selbstverständlich nicht schwimmen. Wenn Bosun am Strand Wache gehalten hätte, wäre er ungeachtet

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