Die Unvollendete: Roman (German Edition)
Vorhänge durchschnitt, und sie wurde hochgehoben und in weichen Armen gewiegt.
»Ich will sie Ursula nennen«, sagte Sylvie. »Was meinst du?«
»Der Name gefällt mir«, sagte Hugh. Sein Gesicht tauchte vor ihr auf. Sein gepflegter Schnurrbart und seine Koteletten, seine freundlichen grünen Augen. »Willkommen, kleiner Bär«, sagte er.
Das Ende vom Anfang
W illkommen, kleiner Bär.« Ihr Vater. Sie hatte seine Augen.
Hugh schritt, wie es der Tradition entsprach, auf dem Voysey-Läufer oben im Flur auf und ab, ausgesperrt vom Allerheiligsten. Er kannte die Einzelheiten dessen nicht, was hinter der Tür eigentlich vor sich ging, und war nur allzu dankbar, dass von ihm keine Vertrautheit mit den Details einer Geburt erwartet wurde. Sylvies Schreie ließen auf Folter, wenn nicht gar Abschlachten schließen. Frauen waren außergewöhnlich tapfer, dachte Hugh. Er rauchte mehrere Zigaretten, um unmännliche Zimperlichkeit einzudämmen.
Dr. Fellowes’ leidenschaftslose Bassstimme war ein gewisser Trost, bedauerlicherweise konterkariert vom hysterischen keltischen Geplapper der Küchenhilfe. Wo war Mrs. Glover? Eine Köchin konnte in Zeiten wie diesen durchaus eine große Hilfe sein. Die Köchin in seinem Zuhause in Hampstead war in einer Krise stets unerschütterlich gewesen.
Irgendwann herrschte hinter der Schlafzimmertür beträchtliche Aufregung, die entweder auf einen großen Sieg oder eine vernichtende Niederlage verwies. Hugh sah davon ab, einzutreten, solange er nicht hineingebeten wurde, und das wurde er nicht. Schließlich riss Dr. Fellowes die Tür zum Geburtszimmer auf und verkündete: »Sie haben ein kräftiges, kregles Mädchen. Sie wäre beinahe gestorben«, fügte er noch hinzu.
Gott sei Dank, dachte Hugh, dass er es geschafft hatte, nach Fox Corner zurückzukehren, bevor die Straßen wegen des Schnees unpassierbar waren. Er hatte seine Schwester mit sich über den Kanal gezerrt, eine Katze nach einer langen Nacht auf den Dächern. Sie hatte ihm eine schmerzhafte Bisswunde an der Hand beigebracht, und er fragte sich, woher seine Schwester diesen wilden Zug hatte. Nicht von Nanny Mills und dem Kinderzimmer in Hampstead.
Izzie trug noch immer ihren falschen Ehering, eine Altlast der schändlichen Woche, die sie sich mit ihrem Liebhaber in einem Hotel in Paris vergnügt hatte, obwohl Hugh bezweifelte, dass die Franzosen, ein unmoralisches Pack, Wert auf Etikette dieser Art legten. Sie war in einem kurzen Rock und mit einem kleinen Strohhut (seine Mutter hatte sie genau beschrieben, als wäre Izzie eine Kriminelle) nach Europa aufgebrochen, doch sie kehrte in einem von Worth entworfenen Kleid zurück (wie sie ihm wiederholt erklärte, als würde es ihn beeindrucken). Es war zudem klar, dass der Schurke sie bereits einige Zeit vor ihrer Flucht missbraucht hatte, da das Kleid, ob nun von Worth oder nicht, an den Nähten spannte.
Er hatte seine flüchtige Schwester schließlich aus dem L’Hôtel in St. Germain geholt, in Hughs Augen ein degenerierter endroit, dem Schauplatz von Oscar Wildes Ableben, was bereits alles darüber sagte, was man wissen musste.
Eine unziemliche Rauferei hatte stattgefunden, nicht nur mit Izzie, sondern auch mit dem Lumpen, aus dessen Armen Hugh sie reißen musste, bevor er sie, um sich tretend und schreiend, zu dem schönen zweitürigen Renault-Taxi schleifte, dessen Fahrer Hugh dafür bezahlt hatte, dass er vor dem Hotel wartete. Hugh hätte selbst gern ein Automobil besessen. Konnte er sich mit seinem Gehalt eins leisten? Würde er lernen, ein Auto zu fahren? War es sehr schwierig?
Auf der Fähre hatten sie einen anständigen, rosa französischen Lammbraten gegessen, und Izzie hatte Champagner verlangt. Hugh hatte nachgegeben, da er von dieser ganzen Fluchtgeschichte zu erschöpft war, um sich schon wieder bis aufs Blut zu streiten.
Es war verlockend, sie über die Reling in das dunkelgraue Wasser des Kanals zu stoßen.
Er hatte seiner Mutter, Adelaide, in Calais telegrafiert und sie von Izzies Missgeschick in Kenntnis gesetzt, da er es für besser hielt, dass sie Bescheid wusste, bevor ihr ihre jüngste Tochter, deren Zustand nicht zu übersehen war, unter die Augen trat.
Die anderen Reisenden auf dem Schiff nahmen an, dass sie ein verheiratetes Paar waren, und Izzie erhielt viele nette Komplimente zu ihrer bevorstehenden Mutterschaft. So entsetzlich dies war, Hugh ließ es geschehen, denn er hielt es für besser, dass diese völlig fremden Menschen die Wahrheit
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