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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Geheimhaltung schwören, ein Schwur, der ohne Sylvies Wissen mit Bargeld versüßt wurde. Hugh kannte den Wert des Geldes, er war nicht umsonst Banker. Bei Dr. Fellowes konnte man sich hoffentlich auf seine professionelle Diskretion verlassen.
    »Roland«, sagte Sylvie. »Der Name hat mir schon immer gefallen. Das Rolandslied  – das war ein französischer Ritter.«
    »In der Schlacht gestorben?«, fragte Hugh.
    »Wie meisten Ritter, oder?«

    Der silberne Hase drehte sich, glänzte und glitzerte vor ihren Augen. Das Laub der Buche tanzte, im Garten trieben Knospen, Blüten und Früchte ganz ohne ihr Zutun. Schlaf, Kindlein, schlaf, sang Sylvie. Die Mutter schüttelt’s Bäumelein. Ursula ließ sich von dieser Drohung nicht einschüchtern und setzte ihre kleine, aber beherzte Reise neben ihrem Gefährten Roland fort.
    Er war ein gutmütiges Kind, und Sylvie brauchte eine Weile, bis sie merkte, dass er »nicht ganz da« war, wie sie eines Abends zu Hugh sagte, als er von einem harten Tag in der Bank nach Hause kam. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, Sylvie von seinen fiskalischen Problemen zu erzählen, doch manchmal stellte er sich vor, er käme von der Arbeit nach Hause zu einer Frau, die von Kontenblättern und Bilanzen, dem steigenden Teepreis, dem unsicheren Wollmarkt fasziniert war. Einer Frau, die den Erfordernissen »angepasst« war, statt zu der schönen, schlauen und etwas widerborstigen Frau, mit der er verheiratet war.
    Er hatte sich in sein Refugium zurückgezogen, saß an seinem Schreibtisch mit einem großen Malt Whisky und einer kleinen Zigarre und hoffte, in Ruhe gelassen zu werden. Vergeblich: Sylvie kam herein und setzte sich ihm gegenüber wie eine Kundin in der Bank, die einen Kredit wollte, und sagte: »Ich glaube, Izzies Kind ist ein Einfaltspinsel.« Bislang war er Roland gewesen, jetzt, da er offenbar einen Defekt aufwies, war er wieder Izzies Kind.
    Hugh tat sie ab, doch im Lauf der Zeit, als Roland in seiner Entwicklung hinter anderen Kindern zurückblieb, musste er ihr recht geben. Er lernte nur langsam, und die natürliche kindliche Neugier auf die Welt schien ihm zu fehlen. Sie konnten ihn auf den Teppich vor dem Kamin setzen mit einem Stoffbuch oder Bauklötzen, und eine halbe Stunde später starrte er noch immer zufrieden ins Feuer (das gut vor Kindern abgesichert war) oder auf Queenie, die Katze, die neben ihm saß und sich ihrer Toilette hingab (weniger gut abgesichert und zu Boshaftigkeit neigend). Roland konnte man jede einfache Aufgabe übertragen, und er verbrachte willig viel Zeit damit, für die Mädchen oder Bridget Sachen zu holen oder zu tragen, nicht einmal Mrs. Glover war sich zu gut, ihn nicht simple Dinge erledigen zu lassen, eine Tüte Zucker aus der Vorratskammer zu holen oder einen Holzlöffel aus dem Behälter zu nehmen. Es schien unwahrscheinlich, dass er in Hughs alte Schule oder auf sein altes College gehen würde, und irgendwie liebte Hugh den Jungen dafür umso mehr.
    »Vielleicht wäre ein Hund für ihn nicht schlecht«, sagte er. »Ein Hund holt immer das Beste aus einem Jungen.« Bosun, ein großes, gutmütiges Tier mit einer Tendenz, aufzupassen und zu beschützen, traf ein und bemerkte sofort, dass ihm die Verantwortung für etwas Wichtiges übertragen war.
    Zumindest war der Junge friedlich, dachte Hugh, im Gegensatz zu seiner Mutter oder seinen eigenen zwei ältesten Kindern, die ständig miteinander stritten. Ursula allerdings war anders als alle anderen. Sie war achtsam, als wollte sie die ganze Welt durch ihre kleinen grünen Augen aufnehmen, die auch die seinen waren. Sie hatte etwas Beunruhigendes.
    *
    Mr. Wintons hatte seine Staffelei am Meer aufgestellt. Er war zufrieden mit dem, was er bislang gemalt hatte, den Blau-, Grün- und Weißtönen – und dem schmutzigen Braun – der Cornwallschen Küste. Mehrere Passanten hielten auf ihrer Wanderung den Strand entlang inne, um ihm bei der Arbeit zuzuschauen. Er hoffte – vergeblich – auf Komplimente.
    Eine kleine Flotte Segelboote fuhr am Horizont entlang, eine Regatta, vermutete Mr. Winton. Er tupfte ein bisschen Chinesischweiß auf seinen gemalten Horizont und trat einen Schritt zurück, um das Ergebnis zu bewundern. Mr. Winton sah Segelboote, wo andere weiße Farbkleckse gesehen hätten. Sie ergäben einen hübschen Kontrast, dachte er, zu ein paar Gestalten am Strand. Die zwei kleinen Mädchen, die so hingebungsvoll eine Sandburg bauten, wären perfekt. Er biss auf das Pinselende,

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