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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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einem Tuch um den Kopf Mrs. Glover dabei geholfen, Marmelade zu machen, in Kupferpfannen Himbeeren aus dem Garten mit dem Zucker einzukochen, den sie sich von ihrer Ration abgespart hatten. »Das ist wie die Arbeit in einer Munitionsfabrik«, sagte Sylvie, als sie ein Glas nach dem anderen mit der blubbernden Masse füllte. »Das nun auch wieder nicht«, murmelte Mrs. Glover vor sich hin.
    Der Garten hatte eine Rekordernte erbracht, Sylvie hatte Bücher darüber gelesen, wie man Obst anbaute, und sich zur Gärtnerin erklärt. Mrs. Glover entgegnete düster, dass Beeren einfach seien und sie solle es mal mit Blumenkohl versuchen. Für die schwere Gartenarbeit hatte Sylvie Clarence Dodds angeheuert, einst ein Freund von Sam Wellington, dem alten Stinkstiefel. Vor dem Krieg war Clarence Hilfsgärtner in Ettringham Hall gewesen. Er war als Invalide ausgemustert worden, trug jetzt eine Blechmaske über einer Gesichtshälfte und sagte, dass er gern in einem Lebensmittelladen arbeiten würde. Ursula begegnete ihm zum ersten Mal, als er ein Karottenbeet anlegte, und sie schrie leise unhöflich auf, als er sich umdrehte und sie sein Gesicht sah. Auf die Maske war ein weit geöffnetes blaues Auge gemalt, das zu seinem richtigen Auge passen sollte. »Da werden sogar Pferde scheu, stimmt’s?«, sagte er und lächelte. Sie wünschte, er würde nicht lächeln, denn sein Mund wurde nicht von der Maske bedeckt. Seine Lippen waren gerunzelt und sahen seltsam aus, als wären sie vergessen und erst nach seiner Geburt angenäht worden.
    »Habe Glück gehabt«, sagte er zu ihr. »Artilleriefeuer, das ist die Hölle.« Ursula fand nicht, dass er großes Glück gehabt hatte.
    Die Karotten hatten gerade ihr fedriges Grün aus der Erde geschoben, als Bridget sich mit Clarence zusammentat. Als Sylvie die ersten King-Edward-Kartoffeln erntete, waren Bridget und Clarence verlobt, und da sich Clarence keinen Ring leisten konnte, schenkte Sylvie Bridget einen Ring mit eingelassenen Steinen, den sie »seit einer Ewigkeit« hatte und nie trug. »Eigentlich ist er nur Schnickschnack«, sagte sie, »und nicht viel wert«, obwohl Hugh ihn nach Pamelas Geburt in der New Bond Street für sie gekauft und nicht auf den Preis geschaut hatte.
    Sam Wellingtons Foto wurde in eine alte Holzkiste im Schuppen verbannt. »Ich kann es nicht behalten«, sagte Bridget verdrießlich zu Mrs. Glover, »aber ich kann es doch auch nicht wegwerfen, oder?«
    »Du könntest es begraben«, schlug Mrs. Glover vor, aber bei dieser Vorstellung schauderte Bridget. »Das wäre wie schwarze Magie.«

    Sie brachen zum Haus von Mrs. Dodds auf, beladen mit Marmelade und einem herrlichen Bouquet weinroter Wicken, die Sylvie stolz gezogen hatte. »Die Sorte heißt ›Senator‹, falls Mrs. Dodds sich dafür interessiert«, sagte sie zu Bridget.
    »Das tut sie nicht«, sagte Bridget.
    Maurice war natürlich nicht dabei. Er war nach dem Frühstück mit seinem Fahrrad losgefahren, ein Picknick zum Mittagessen im Rucksack, und mit seinen Freunden für den ganzen Tag verschwunden. Ursula und Pamela interessierten sich nur wenig für Maurice’ Leben, und er interessierte sich überhaupt nicht für ihres. Teddy war eine ganz andere Sorte Bruder, loyal und liebevoll wie ein Hund, und wurde dementsprechend verhätschelt.
    Clarence’ Mutter war noch immer in Ettringham Hall angestellt, laut Sylvie in »einer semifeudalen Funktion«, und wohnte in einem Häuschen auf dem Anwesen, einer vollgestopften uralten Hütte, in der es nach schalem Wasser und altem Verputz roch. An der feuchten Decke warf Leimfarbe Blasen wie eitriger Ausfluss. Im Jahr zuvor war Eiter aus Bosuns Nase geflossen, und er war an Staupe gestorben und unter einer Bourbon-Rose begraben worden, die Sylvie extra bestellt hatte, um sein Grab zu markieren. »Sie heißt ›Louise Odier‹, falls es euch interessiert«, hatte sie gesagt. Jetzt hatten sie einen anderen Hund, einen zappligen schwarzen Lurcherwelpen namens Trixie, der genauso gut Ärger hätte heißen können, weil Sylvie immer lachte und sagte: »Oje, da kommt Ärger auf uns zu.« Pamela hatte beobachtet, wie Mrs. Glover ihm mit ihrem in einem großen Stiefel steckenden Fuß einen gezielten Tritt versetzte, und Sylvie musste »ein Wörtchen mit ihr reden«. Bridget ließ Trixie nicht zu Mrs. Dodds mitkommen, weil sie ihr sonst deswegen die Ohren volljammern würde. »Sie glaubt nicht an Hunde«, sagte Bridget.
    »Hunde sind keine Glaubenssache«, sagte

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