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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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gab keine Auskunft.
    »Henrietta?«, kreischte Pamela erschrocken.
    »Hast du sie umgebracht?«, fragte Maurice Sylvie beflissen. »Hat sie sehr geblutet?«
    Sie hatten schon mehrere Hühner an die Füchse verloren. Sylvie war überrascht, wie dumm Hühner waren. Nicht dümmer als Menschen, sagte Mrs. Glover. Die Füchse hatten letzten Sommer auch Pamelas Kaninchenbaby geholt. George Glover hatte die beiden Kaninchen gerettet, und Pamela hatte darauf bestanden, für ihres im Garten ein Nest zu bauen, doch Ursula hatte rebelliert und ihr Kaninchen ins Puppenhaus gesetzt, wo es alles umstieß und kleine Köttel hinterließ, die aussahen wie Lakritzperlen. Als Bridget es fand, brachte sie es hinaus in ein Nebengebäude, und es wurde nie wieder gesehen.
    Zum Nachtisch gab es Strudel mit Marmelade und Vanillesoße, die Marmelade war aus den Himbeeren vom letzten Sommer. Der Sommer sei jetzt nur noch ein Traum, sagte Sylvie.
    »Totes Baby«, sagte Maurice auf diese schrecklich beiläufige Weise, die das Internat nur noch begünstigte. Er schaufelte sich Nachtisch in den Mund und sagte: »So nennen wir Strudel mit Marmelade in der Schule.«
    »Benimm dich, Maurice«, warnte ihn Sylvie. »Und sei bitte nicht so gemein.«
    »Totes Baby?«, sagte Ursula, legte den Löffel weg und starrte entsetzt auf den Teller vor sich.
    »Die Deutschen essen sie«, sagte Pamela düster.
    »Nachtisch?«, fragte Ursula. Aßen nicht alle Nachtisch, sogar der Feind?
    »Nein, Babys «, sagte Pamela. »Aber nur belgische.«

    Sylvie schaute auf den Strudel, den runden blutroten Saum aus Marmelade und schauderte. Am Morgen hatte sie gesehen, wie Mrs. Glover Henriettas Hals über einen Besenstiel nach hinten bog, den Vogel mit der Gleichgültigkeit eines staatlichen Henkers tötete. Not kennt vermutlich kein Gebot, dachte Sylvie. »Wir sind im Krieg«, hatte Mrs. Glover gesagt, »da bleibt keine Zeit für Zimperlichkeiten.«
    Pamela ließ das Thema nicht ruhen. »War sie es wirklich, Mummy?«, beharrte sie leise. »War es Henrietta?«
    »Nein, Liebes«, sagte Sylvie. »Ich gebe euch mein Ehrenwort, dass es nicht Henrietta war.«
    Ein lautes Klopfen an der Hintertür unterband weitere Diskussionen. Sie saßen alle still da und starrten einander an, als wären sie bei einer Straftat ertappt worden. Ursula verstand nicht wirklich, warum. »Hoffentlich sind es keine schlechten Nachrichten«, sagte Sylvie. Vergebens. Sekunden später drang ein schrecklicher Schrei aus der Küche. Sam Wellington, der alte Stinkstiefel, war tot.
    »Dieser fürchterliche Krieg«, murmelte Sylvie.

    Pamela gab Ursula die Überreste eines Knäuels vierfädiger graubrauner Lammwolle, und Ursula versprach, dass Königin Solange aus Dankbarkeit für ihre Errettung einen kleinen Untersetzer für Pamelas Wasserglas entbinden würde.
    Als sie an diesem Abend ins Bett gingen, stellten sie die Dame mit der Krinoline und Königin Solange nebeneinander aufs Nachtkästchen, wackere Überlebende einer Begegnung mit dem Feind.

Juni 1918
    T eddys Geburtstag. Geboren im Zeichen des Krebses. Ein rätselhaftes Sternzeichen, behauptete Sylvie, obwohl sie diese Dinge für »Quatsch« hielt. »Denn wir sind jetzt vier«, sagte Bridget, und sie meinte es vermutlich als Scherz.
    Sylvie und Mrs. Glover bereiteten eine kleine Party vor, »eine Überraschung«. Sylvie liebte alle ihre Kinder, Maurice vielleicht nicht so sehr, aber in Teddy war sie ganz vernarrt.
    Teddy wusste nicht einmal, dass er Geburtstag hatte, da sie seit Tagen streng angewiesen waren, es nicht zu erwähnen. Ursula konnte nicht fassen, wie schwierig es war, ein Geheimnis zu bewahren. Sylvie war darin versiert. Sie schickte sie mit »dem Geburtstagskind« hinaus, während sie letzte Vorbereitungen traf. Pamela beschwerte sich, dass für sie noch nie eine Überraschungsparty veranstaltet worden war, aber Sylvie sagte: »Doch natürlich, du erinnerst dich bloß nicht mehr daran.« Entsprach das der Wahrheit? Pamela runzelte die Stirn, weil sie es unmöglich mit Sicherheit wissen konnte. Ursula hatte keine Ahnung, ob für sie eine Überraschungsparty oder auch nur eine Party, die keine Überraschung sein sollte, veranstaltet worden war. Die Vergangenheit war ein großes Durcheinander in ihrem Kopf, nicht eine gerade Linie wie für Pamela.
    Bridget sagte: »Kommt, wir gehen alle spazieren«, und Sylvie sagte: »Ja, bringt Mrs. Dodds Marmelade, na los.« Sylvie hatte gestern den ganzen Tag mit hochgekrempelten Ärmeln und mit

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