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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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geäderten Brüsten nicht unterdrücken, die aus ihrem rüschigen, spitzenbesetzten Morgenrock herausfielen. Hastig scheuchte sie die Kinder aus dem Zimmer. »Haferbrei«, sagte sie mit grimmiger Miene zu ihnen.

    »Der liebe Gott wollte dieses Baby unbedingt zurückhaben«, sagte Bridget, als sie später am Morgen mit einer Tasse dampfender Fleischbrühe ins Zimmer kam.
    »Wir wurden geprüft«, entgegnete Sylvie, »und als nicht zu leicht befunden.«
    »Dieses Mal«, sagte Bridget.

Mai 1910
    E in Telegramm«, sagte Hugh, der unerwartet ins Kinderzimmer trat und Sylvie aus dem angenehmen Halbschlaf riss, in dem sie versunken war, während sie Ursula stillte. Sie bedeckte sich rasch und fragte: »Ein Telegramm? Ist jemand gestorben?«, denn Hughs Miene ließ auf eine Katastrophe schließen.
    »Aus Wiesbaden.«
    »Ah«, sagte Sylvie. »Dann hat Izzie also ihr Baby bekommen.«
    »Wenn der Schurke nur nicht verheiratet wäre«, sagte Hugh. »Dann hätte er meine Schwester zu einer ehrbaren Frau machen können.«
    »Eine ehrbare Frau?«, sinnierte Sylvie. »Gibt es so etwas überhaupt?« (Hatte sie das laut ausgesprochen?) »Und außerdem ist sie noch viel zu jung zum Heiraten.«
    Hugh runzelte die Stirn. Es machte ihn hübscher. »Nur zwei Jahre jünger als du bei unserer Hochzeit«, sagte er.
    »Aber irgendwie so viel älter«, murmelte Sylvie. »Ist alles in Ordnung? Ist das Baby wohlauf?«
    Als Hugh sie ausfindig gemacht und in Paris in den Zug zum Schiff gezerrt hatte, war Izzie schon sichtbar enceinte gewesen. Adelaide, ihre Mutter, sagte, dass sie es vorgezogen hätte, wenn Izzie von weißen Sklavenhändlern entführt worden wäre, statt mit so großer Begeisterung ein ausschweifendes Leben zu führen. Sylvie fand die Vorstellung weißer Sklavenhändler durchaus interessant – sie sah vor sich, wie sie von einem Wüstenscheich auf einem Araberhengst fortgebracht wurde und dann auf einem weich gepolsterten Diwan lag, in Seide und Schleier gekleidet, Süßigkeiten aß und an einem Sorbet nippte, während Bächlein und Springbrunnen plätscherten. (Sie glaubte nicht, dass es in Wirklichkeit so war.) Ein Harem voller Frauen erschien ihr eine ausgesprochen gute Idee – sie konnten die Last der ehelichen Pflichten teilen und so weiter.
    Adelaide, heldenhaft viktorianisch in ihren Einstellungen, hatte beim Anblick des anschwellenden Bauches ihrer jüngsten Tochter buchstäblich die Tür verriegelt und sie über den Kanal zurückgeschickt, damit sie im Ausland die Schande austrug. Das Baby sollte so rasch wie möglich adoptiert werden. »Ein ehrbares deutsches Paar, das keine eigenen Kinder haben kann«, sagte Adelaide. Sylvie versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, ein Kind wegzugeben. (»Und werden wir nie wieder etwas von ihm hören?«, fragte sie. »Hoffentlich nicht«, sagte Adelaide.) Izzie sollte jetzt in ein Mädchenpensionat in der Schweiz abgeschoben werden, um ihrer Ausbildung den letzten Schliff zu verleihen, auch wenn es schien, dass sich das in mehr als nur einer Beziehung bereits erledigt hatte.
    »Ein Junge«, sagte Hugh und wedelte mit dem Telegramm herum wie mit einer Fahne. »Gesund und so weiter.«

    Ursula erlebte ihren ersten eigenen Frühling. Sie lag im Kinderwagen unter der Buche und betrachtete die flackernden Muster, die das Licht in das zartgrüne Laub zeichnete, während die Brise die Äste leicht bewegte. Die Äste waren wie Arme, und die Blätter waren wie Hände. Der Baum tanzte für sie. Schlaf, Kindlein, schlaf, gurrte Sylvie, die Mutter schüttelt’s Bäumelein.
    Ein Männlein steht im Walde, sang Pamela lispelnd, ganz still und stumm.
    Ein winziger Hase baumelte vom Verdeck des Kinderwagens, drehte sich im Kreis, die Sonne blitzte auf seiner silbernen Haut auf. Der Hase saß aufrecht in einem Körbchen und hatte einst die Rassel des Kleinkinds Sylvie geschmückt, die Rassel war wie Sylvies Kindheit längst verloren.
    Nackte Äste, Knospen, Blätter – die Welt, wie sie sie kannte, kam und ging vor Ursulas Augen. Zum ersten Mal erlebte sie den Wechsel der Jahreszeiten. Mit dem Winter in den Knochen war sie geboren, doch dann folgten das große Versprechen des Frühlings, das Aufplatzen der fetten Knospen, die träge Hitze des Sommers, Schimmel und Schwamm des Herbstes. Durch den begrenzten Ausschnitt des Kinderwagenverdecks sah sie alles. Ganz zu schweigen von den wahllosen Ausschmückungen, die die Jahreszeiten mit sich brachten – Sonne, Wolken, Vögel, einen verschlagenen

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