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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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durfte nicht zu spät in die Schule kommen und betrachtete sein Frühstück, eine Litanei aus Haferbrei, Eiern und Toast, als feierliche (und einsame) Kommunion. Die Eier hatten werktags abwechselnd als Rühreier, Spiegeleier, weichgekochte Eier, pochierte Eier serviert zu werden, freitags gab es, wie aufregend, einen Bückling. Am Wochenende mochte Derek gebratenen Speck, Würstchen und Blutwurst zu seinen Eiern. Die Eier stammten nicht aus einem Laden, sondern von einem drei Meilen entfernten Kleinbauernhof, zu dem Ursula jede Woche zu Fuß gehen musste, weil Derek ihre Fahrräder vor ihrem Umzug nach Wealdstone verkauft hatte, um »Geld zu sparen«.
    Das Abendessen war ein weiterer Albtraum, denn sie musste sich ständig neue Dinge zum Kochen einfallen lassen. Das Leben war eine endlose Runde von Koteletts und Steaks und Pasteten und Eintöpfen und Braten, ganz zu schweigen vom Nachtisch, den er jeden Tag erwartete, und zwar jeden Tag einen anderen. Ich bin eine Sklavin der Kochbücher, schrieb sie mit geheuchelter Fröhlichkeit an Sylvie, obwohl sie alles andere als fröhlich war, wenn sie über den schwierigen Rezepten brütete. Sie entwickelte einen neuen Respekt für Mrs. Glover. Natürlich profitierte Mrs. Glover von einer großen Küche, einem nicht unerheblichen Budget und einer vollen batterie de cuisine, wohingegen die Küche in Wealdstone armselig ausgestattet war und Ursulas Haushaltsgeld nie für eine Woche zu reichen schien, weswegen er sie ständig tadelte.
    In Bayswater hatte sie sich wegen Geld nie Sorgen gemacht, wenn sie knapp bei Kasse war, aß sie weniger und ging zu Fuß, statt mit der U-Bahn zu fahren. Wenn sie wirklich einen Zuschuss brauchte, hatte sie sich immer an Hugh oder Izzie gewandt, doch sie konnte sie jetzt, da sie einen Mann hatte, wohl kaum um Geld bitten. Diese Beleidigung seiner Männlichkeit hätte Derek zutiefst gedemütigt.
    Nach mehreren Monaten unter dem Druck der endlosen Hausarbeit meinte Ursula verrückt zu werden, wenn sie nicht irgendeine Freizeitbeschäftigung fand, um die langen Tage zu verkürzen. Sie kam auf dem täglichen Weg zum Einkaufen an einem Tennisverein vorbei. Sie sah nur die hohe Netzbespannung, die hinter einem Holzzaun aufragte, und auf der Straßenseite eine grüne Tür in einer hellen Kieselrauhputzmauer, aber sie hörte die vertrauten, sommerlichen Geräusche, den Aufschlag und das Schwirren des Balls, und eines Tages klopfte sie an die grüne Tür und fragte, ob sie Mitglied werden könne.
    »Ich bin in den Tennisverein eingetreten«, sagte sie zu Derek, als er am Abend nach Hause kam.
    »Du hast mich nicht gefragt«, sagte Derek.
    »Ich wusste nicht, dass du Tennis spielst.«
    »Tue ich auch nicht«, sagte er. »Ich meine, du hast mich nicht um Erlaubnis gefragt.«
    »Ich wusste nicht, dass ich das muss.« Etwas verdunkelte seine Miene, die gleiche Wolke, die sie kurz an ihrem Hochzeitstag gesehen hatte, als Sylvie sein Shakespeare-Zitat korrigiert hatte. Dieses Mal blieb sie länger und schien ihn auf undefinierbare Weise zu verändern, als wäre etwas in ihm verkümmert.
    »Also, darf ich?«, fragte sie, weil sie glaubte, dass es besser wäre, sich kleinlaut zu geben und den Frieden zu wahren. Würde Pammy Harold so eine Frage stellen? Würde Harold so eine Frage von Pammy erwarten? Ursula war sich nicht sicher. Ihr wurde klar, dass sie keine Ahnung von der Ehe hatte. Und Sylvies und Hughs Verbindung war nach wie vor natürlich ein Rätsel.
    Sie fragte sich, was Derek möglicherweise dagegen einzuwenden hätte, dass sie Tennis spielte. Er schien genau darüber nachzudenken und sagte schließlich widerwillig: »Wenn es sein muss. Aber nur solange die Hausarbeit nicht darunter leidet.« Während des Abendessens – geschmorte Lammkoteletts und Kartoffelbrei – stand er plötzlich vom Tisch auf, nahm seinen Teller, schleuderte ihn durch den Raum und verließ dann wortlos das Haus. Er kehrte erst zurück, als Ursula ins Bett ging. Sein Ausdruck war noch genauso verkniffen wie zu dem Zeitpunkt, als er gegangen war, und er sagte knapp »gute Nacht«, als würde er an den Worten ersticken.
    Mitten in der Nacht erwachte sie, als er auf sie stieg und sich wortlos in sie drängte. Die Glyzinien fielen ihr ein.
    Der verkniffene Ausdruck (»dieses Gesicht« nannte sie es) war jetzt eine regelmäßige Erscheinung, und Ursula staunte, wie weit sie ging, um ihn zu beschwichtigen. Doch es war hoffnungslos, wenn er in dieser Stimmung war, ging sie ihm auf

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