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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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könnten wir dauernd miteinander sprechen.« Derek hielt ein Telefon für kostspieligen Luxus, aber Ursula vermutete, dass er sie daran hindern wollte, mit irgendjemandem zu sprechen. Sie konnte diese Vermutung nicht äußern (und wem gegenüber – Phyllis? Dem Milchmann?), da die Leute sie für verrückt halten würden. Ursula hatte sich auf Pamelas Besuch gefreut wie auf Ferien. Am Montag hatte sie zu Derek gesagt: »Pamela kommt am Mittwochnachmittag«, und er hatte erwidert: »Ach ja?« Es schien ihm gleichgültig zu sein, und sie war erleichtert, dass er nicht den verkniffenen Ausdruck aufsetzte.
    Kaum hatten sie den Tee getrunken, räumte Ursula rasch das Geschirr ab, spülte und trocknete es und stellte die Sachen an ihren Platz zurück.
    »Himmel«, sagte Pamela, »seit wann bist du denn so eine ordentliche Hausfrau?«
    »Ordnung ist das halbe Leben«, sagte Ursula.
    »Ordnung wird überschätzt«, sagte Pamela. »Stimmt irgendetwas nicht? Du scheinst schrecklich niedergeschlagen.«
    »Meine Tage«, sagte Ursula.
    »Oh, Pech. Dieses Problem werde ich eine Weile nicht haben. Rate mal, warum?«
    »Du bekommst ein Kind? Oh, das sind ja wunderbare Neuigkeiten!«
    »Ja, nicht wahr? Mutter wird wieder Großmutter.« (Maurice hatte bereits begonnen, die nächste Generation von Todds in die Welt zu setzen.) »Meinst du, dass sie sich freuen wird?«
    »Wer weiß? Das ist dieser Tage schwer vorherzusagen.«

    »War der Besuch deiner Schwester nett?«, fragte Derek, als er am Abend nach Hause kam.
    »Sehr schön. Sie bekommt ein Kind.«
    »Ja?«

    Am nächsten Morgen entsprachen ihre pochierten Eier nicht »den Anforderungen«. Sogar Ursula musste zugeben, dass das Ei, das sie Derek zum Frühstück präsentierte, ein trauriger Anblick war, eine kränkliche Qualle, zum Sterben auf eine Scheibe Toast gelegt. Er lächelte hinterhältig, ein Lächeln, das triumphierend darauf verwies, dass er jemandem am Zeug flicken konnte. Es war ein neues Gesicht. Schlimmer als das alte.
    »Erwartest du von mir, dass ich das esse?«, fragte er.
    Ursula gingen mehrere Antworten darauf durch den Kopf, doch sie verwarf sie alle als provokant. Stattdessen sagte sie: »Ich mach dir noch eins.«
    »Wie du weißt«, sagte er, »muss ich viele Stunden eine Arbeit machen, die ich hasse, nur um dich zu unterhalten. Du musst dir wegen nichts deine alberne kleine Birne zerbrechen, stimmt’s? Du hast den ganzen Tag nichts zu tun – o nein, entschuldige«, sagte er sarkastisch, »ich habe ganz vergessen, dass du Tennis spielst – und du kannst mir nicht mal ein Ei kochen.«
    Ursula war nicht klar gewesen, dass er seine Arbeit hasste. Er jammerte viel über das Betragen der Untertertia und beschwerte sich unablässig über die mangelnde Wertschätzung seiner Arbeit seitens des Direktors, aber sie hätte nicht gedacht, dass er das Unterrichten hasste. Er sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen, und er tat ihr plötzlich und unerwartet leid, und sie sagte: »Ich pochiere dir noch ein Ei.«
    »Spar dir die Mühe.« Sie erwartete, dass er das Ei an die Wand warf, seitdem sie dem Tennisverein beigetreten war, neigte Derek dazu, das Essen zu werfen, doch stattdessen holte er aus und schlug sie mit der offenen Hand ins Gesicht, so dass sie gegen den Herd taumelte und dann zu Boden ging, auf die Knie, als würde sie beten. Der Schmerz, mehr als die Tat als solche, hatte sie überrascht.
    Derek ging durch die Küche zu ihr und blieb vor ihr stehen, den Teller mit dem Corpus Delicti in der Hand. Einen Augenblick dachte sie, dass er ihn auf ihrem Kopf zerbrechen würde, doch stattdessen ließ er das Ei vom Teller auf ihren Kopf gleiten. Dann stapfte er aus der Küche, und kurz darauf hörte sie die Haustür ins Schloss fallen. Das Ei rutschte von ihrem Haar, über ihr Gesicht und auf den Boden, wo es mit einem lautlosen gelben Spritzer zerbarst. Sie kämpfte sich auf die Füße und holte einen Lumpen.

    An diesem Morgen schien etwas in ihm aufzubrechen. Sie verstieß gegen Regeln, von denen sie nicht wusste, dass sie existierten – zu viele Kohlen im Feuer, zu viel Toilettenpapier verbraucht, ein zufällig angelassenes Licht. Er überprüfte Quittungen und Rechnungen, über jeden Penny musste sie Rechenschaft ablegen, nie blieb Geld für sie übrig.
    Er ereiferte sich über die Maßen wegen der belanglosesten Dinge, und wenn er einmal angefangen hatte, konnte er nicht mehr aufhören. Er war die ganze Zeit wütend. Sie ließ ihn die ganze Zeit

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