Die Unvollendete: Roman (German Edition)
nicht so locker, wie Ursula anfänglich gedacht hatte. Sie lächelte ihn an, spürte das neue Band. Ihr wurde klar, dass sie einen Fremden heiratete. (»Jeder heiratet einen Fremden«, sagte Hugh.)
»Eigentlich heißt es ›Schwachheit‹«, sagte Sylvie freundlich. » Schwachheit, dein Name ist Weib. Hamlet. Viele Leute zitieren es aus irgendeinem Grund falsch.«
Ein Schatten fiel auf Dereks Gesicht, doch dann lachte er. »Ich verneige mich vor Ihrer überlegenen Bildung, Mrs. Todd.«
Ihr neues Haus war aufgrund seiner Lage – relativ nahe an der Schule, in der Derek unterrichtete – gewählt worden. Er hatte ein Erbe, »eine sehr kleine Summe« aus den Investitionen seines selten erwähnten Vaters. Es war ein »solides« Reihenhaus in der Masons Avenue, Fachwerk im Tudor-Stil mit einer Bleiglasscheibe in der Haustür, auf der eine Galeone mit vollen Segeln dargestellt war, obwohl Wealdstone weit entfernt vom nächsten Ozean war. Das Haus verfügte über alle modernen Annehmlichkeiten, in der Nähe befanden sich Geschäfte, ein Arzt, ein Zahnarzt und ein Park, in dem Kinder spielen konnten, ja, alles, was sich eine junge Ehefrau (und »bald schon« Mutter, laut Derek) wünschen konnte.
Ursula sah vor sich, wie sie mit Derek morgens frühstückte, bevor sie ihm nachwinkte, wenn er zur Arbeit ging, sie sah sich ihre Kinder in einem Kinderwagen, dann in einem Sportwagen schieben, sie auf einer Schaukel anstoßen, sie abends baden und ihnen in ihrem hübschen Schlafzimmer eine Gutenachtgeschichte vorlesen. Abends säßen sie und Derek still im Wohnzimmer und hörten Radio. Vielleicht arbeitete er an dem Buch, das er schrieb, ein Schulbuch – »Von den Plantagenets zu den Tudors«. (»O Gott«, sagte Hilda. »Klingt aufregend.«) Wealdstone war weit entfernt von Belgravia. Gott sei Dank.
Die Räume, in denen ihr Eheleben stattfinden sollte, sah sie erst nach den Flitterwochen, da Derek das Haus gekauft und eingerichtet hatte, ohne dass er es ihr je gezeigt hätte.
»Das ist ein bisschen komisch, findest du nicht?«, fragte Pamela. »Nein«, sagte Ursula. »Es ist eine Überraschung. Sein Hochzeitsgeschenk für mich.«
Als Derek sie endlich ungeschickt über die Schwelle in Wealdstone trug (eine rot geflieste kleine Veranda, die weder Sylvie noch William Morris gutgeheißen hätten), konnte Ursula nicht umhin, eine Spur enttäuscht zu sein. Das Haus erwies sich als spärlich möbliert, noch dazu auf eine altmodischere Weise, als sie es sich vorgestellt hatte, und es hatte etwas Freudloses, was vermutlich daran lag, dass der weibliche Einfluss auf das Dekor fehlte, und deshalb war sie überrascht, als Derek sagte: »Meine Mutter hat mir geholfen.« Doch in Barnet, wo der verwitweten Mrs. Oliphant eine gewisse Schäbigkeit anhaftete, herrschte natürlich eine ähnliche Art Tristesse.
Sylvie hatte die Flitterwochen in Deauville verbracht, Pamela mit Wandern in der Schweiz, aber Ursula begann ihre Ehe mit einer ziemlich nassen Woche in Worthing.
Sie heiratete einen Mann (»ein sympathischer Kerl«) und erwachte mit einem anderen, einem, der wie Sylvies kleine Reiseuhr bis zum Anschlag aufgezogen war.
Er veränderte sich nahezu sofort, als wären die Flitterwochen ein Übergang, ein Passageritus von einem beflissenen Verehrer zu einem desillusionierten Ehemann. Ursula gab dem schauderhaften Wetter die Schuld. Die Eigentümerin der Pension, in der sie abgestiegen waren, erwartete von ihnen, dass sie sich zwischen dem Frühstück und dem Abendessen um sechs nicht im Haus aufhielten, und deswegen suchten sie tagsüber Zuflucht in Cafés oder in der Kunstgalerie oder im Museum und trotzten auf dem Pier dem Wind. Abends spielten sie mit anderen (weniger entmutigten) Gästen Partner-Whist, bevor sie sich in ihr kaltes Zimmer zurückzogen. Derek war in mehr als nur einer Beziehung ein schlechter Kartenspieler, und sie verloren fast immer. Es schien, als würde er ihre Versuche, ihm ihre Karten zu bedeuten, absichtlich missverstehen.
»Warum hast du Trumpf ausgespielt?«, fragte sie ihn später – aus ungeheuchelter Neugier –, als sie sich im Schlafzimmer sittsam entkleideten. »Findest du diesen Blödsinn wichtig?«, sagte er so verächtlich, dass sie sich vornahm, in Zukunft auf Spiele jedweder Art mit Derek zu verzichten.
In der ersten Nacht stellte Ursula erleichtert fest, dass Blut beziehungsweise sein Fehlen nicht bemerkt wurde. »Du solltest wissen, dass ich nicht unerfahren bin«, sagte Derek
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