Die Unvollendete: Roman (German Edition)
ziemlich großspurig, als sie zum ersten Mal zusammen ins Bett stiegen. »Ich denke, es ist die Pflicht eines Ehemannes, Erfahrungen zu sammeln. Wie sonst könnte er die Unbescholtenheit seiner Frau beschützen?«
Es klang wie ein fadenscheiniges Argument, aber Ursula war nicht in der Position zu widersprechen.
Derek stand morgens früh auf und machte unerbittlich zahllose Liegestützen – als wäre er in einer Armeekaserne und nicht in den Flitterwochen. »Mens sana in corpora sana«, sagte er. Besser ihn nicht korrigieren, dachte sie. Er war stolz auf sein Latein und auf seine Bruchstücke Altgriechisch. Seine Mutter hatte geknausert und gespart, damit er in den Genuss einer guten Ausbildung kam, ihm »war nichts auf dem Silbertablett serviert worden wie so manch anderen«. Ursula war ziemlich gut in Latein und Griechisch gewesen, hielt es jedoch für besser, nicht damit anzugeben. Das war natürlich eine andere Ursula gewesen. Eine Ursula, die nicht von Belgravia gezeichnet war.
Dereks Methode, eheliche Beziehungen zu unterhalten, war ähnlich seiner Methode, Leibesübungen zu absolvieren, bis hin zu dem gleichen gequälten und angestrengten Ausdruck in seinem Gesicht. Ursula hätte die Matratze sein können, so wie er sich um sie bemühte. Aber was war ihr Maßstab? Howie? Sie wünschte jetzt, dass sie Hilda gefragt hätte, was in ihrem »Lustschloss« in Ealing vor sich ging. Sie dachte an Izzies überschwengliches Flirten und die herzliche Zuneigung zwischen Pamela und Harold. All das schien auf Kurzweil zu verweisen, wenn nicht sogar regelrecht auf Glück. »Was ist das Leben wert, wenn man keinen Spaß hat?«, sagte Izzie. Ursula hatte das Gefühl, dass in Wealdstone Spaß knapp sein würde.
So eintönig ihre Arbeit gewesen war, es war nichts im Vergleich zum täglichen Stumpfsinn der Arbeit im Haus. Alles musste fortwährend gewaschen, geschrubbt, abgestaubt, poliert und gewischt werden, ganz zu schweigen vom Bügeln, Zusammenfalten, Aufhängen, Geradeziehen. Von den Korrekturen. Derek war ein Mann der rechten Winkel und geraden Linien. Handtücher, Geschirrtücher, Vorhänge, Teppiche, alles musste ständig neu ausgerichtet und noch einmal ausgerichtet werden. (Wie offenbar auch Ursula.) Aber das war jetzt ihr Beruf, das waren die Vereinbarung und die Ausrichtung der Ehe, oder? Allerdings wurde Ursula das Gefühl nicht los, dass sie sich in einer nicht endenden Probezeit befand.
Es war einfacher, sich Dereks bedingungslosem Glauben an die häusliche Ordnung zu fügen, statt dagegen anzukämpfen. (»Ein Platz für alles, und alles an seinem Platz.«) Das Geschirr musste fleckenlos sauber sein, Besteck musste poliert und in den Schubladen ausgerichtet werden – Messer wie paradierende Soldaten, Löffel mussten ordentlich Löffelchen liegen. Eine Hausfrau müsse die frömmste Gläubige am Altar der Laren und Penaten sein, sagte er. Es sollte »Feuerstelle« heißen, nicht »Altar«, dachte sie, so oft wie sie Asche ausfegte und Klinkerreste aus dem Boiler rüttelte.
Derek war besessen von Ordnung. Er konnte nicht denken, behauptete er, wenn Dinge nicht richtig ausgerichtet an ihrem angestammten Platz standen. »Ordnung ist das halbe Leben«, sagte er. Ursula begriff, dass er Aphorismen liebte. Er konnte definitiv nicht an »Von den Plantagenets zu den Tudors« in dem Chaos arbeiten, das Ursula schuf, indem sie einen Raum betrat. Sie brauchten das Einkommen dieses Schulbuchs – seinem ersten –, das William Collins verlegen würde, und zu diesem Zweck beschlagnahmte er das winzige Esszimmer (Tisch, Anrichte, alles) auf der Rückseite des Hauses als sein »Arbeitszimmer«, und Ursula wurde an den meisten Abenden aus Dereks Gesellschaft verbannt, damit er arbeiten konnte. Zwei sollten so billig leben wie einer, sagte er, und doch konnten sie kaum die Rechnungen bezahlen, weil sie nicht sparsam genug wirtschaftete, also sollte sie ihm wenigstens die Ruhe gönnen, um etwas dazuzuverdienen. Und nein, danke, er wollte nicht, dass sie ihm half und das Manuskript tippte.
Ursulas alte Haushaltsroutinen erschienen jetzt, auch in ihren Augen, entsetzlich schlampig. In Bayswater hatte sie oft weder ihr Bett gemacht noch die Töpfe gespült. Brot und Butter waren ein gutes Frühstück, und soweit sie wusste, war es nicht verkehrt, abends ein weichgekochtes Ei zu essen. Das Eheleben war anspruchsvoller. Das Frühstück musste vorbereitet werden und auf die Minute genau morgens auf dem Tisch stehen. Derek
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