Die Unvollendete: Roman (German Edition)
die Nerven, gleichgültig, was sie tat oder sagte, ja, ihre Versuche, ihn zu besänftigen, verschlimmerten die Situation nur.
Sie statteten Mrs. Oliphant in Barnet einen Besuch ab, den ersten seit der Hochzeit. Sie hatten kurz vorbeigeschaut – Tee und alte Scones –, um ihre Verlobung mitzuteilen, doch seitdem waren sie nicht mehr dort gewesen.
Dieses Mal servierte ihnen Mrs. Oliphant einen schlappen Schinkensalat und wortkarge Gespräche. Sie hatte ein paar Arbeiten für Derek »aufgespart«, und er verschwand mit Werkzeug in der Hand und ließ seine Frauen den Abwasch erledigen. Danach fragte Ursula: »Soll ich Tee kochen?«, und Mrs. Oliphant sagte ohne große Begeisterung: »Wenn du möchtest.«
Sie saßen verlegen im Wohnzimmer und tranken Tee. An der Wand hing ein gerahmtes Bild, eine Studioaufnahme von Mrs. Oliphant und ihrem Mann am Tag ihrer Hochzeit, züchtig in den Hochzeitskleidern der Jahrhundertwende. »Das ist sehr hübsch«, sagte Ursula. »Haben Sie auch Fotos von Derek als kleinem Jungen? Oder von seiner Schwester?«, fügte sie hinzu, weil es nicht richtig schien, das Mädchen aus der Familiengeschichte auszuschließen, nur weil es tot war.
»Schwester?«, sagte Mrs. Oliphant und runzelte die Stirn. »Welche Schwester?«
»Seine Schwester, die gestorben ist«, sagte Ursula.
»Gestorben?« Mrs. Oliphant schien erschrocken.
»Ihre Tochter«, sagte Ursula. »Sie ist ins Kaminfeuer gefallen«, fügte sie hinzu und kam sich dumm dabei vor, denn es war wohl kaum ein Detail, das man vergaß. Sie fragte sich, ob Mrs. Oliphant vielleicht ein schlichtes Gemüt war. Mrs. Oliphant blickte verwirrt drein, als versuchte sie, sich an dieses vergessene Kind zu erinnern. »Derek war und ist mein einziges Kind«, sagte sie bestimmt.
»Wie auch immer«, sagte Ursula, als wäre es ein triviales Thema, das man mühelos wechseln konnte, »Sie müssen uns in Wealdstone besuchen. Jetzt, wo wir uns eingelebt haben. Wir sind sehr dankbar für das Geld, das Mr. Oliphant hinterlassen hat.«
»Hinterlassen? Er hat Geld hinterlassen?«
»Ein paar Aktien, glaube ich, in seinem Testament«, sagte Ursula. Vielleicht war Mrs. Oliphant bei der Testamentseröffnung nicht dabei gewesen.
»Testament? Er hat nichts außer Schulden hinterlassen, als er auf und davon ist. Er ist nicht tot«, fügte sie hinzu, als wäre Ursula das schlichte Gemüt. »Er lebt in Margate.«
Hatte er ihr noch mehr Lügen und Halbwahrheiten erzählt?, fragte sich Ursula. War Derek als Junge wirklich beinahe ertrunken?
»Ertrunken?«
»Ist er nicht aus einem Ruderboot gefallen und ans Ufer geschwommen?«
»Wie kommst du denn auf diese Idee?«
»Na, ihr beiden«, sagte Derek, der zurückkehrte und sie beide erschreckte, »worüber unterhaltet ihr euch denn?«
»Du hast abgenommen«, sagte Pamela.
»Ja, wahrscheinlich. Ich spiele Tennis.« Wie normal sie ihr Leben klingen ließ. Sie ging hartnäckig in den Tennisverein, er war die einzige Abwechslung zu dem klaustrophobischen Leben in der Masons Avenue, auch wenn sie sich ständig einer Inquisition zu dem Thema unterziehen musste. Jeden Abend, wenn Derek nach Hause kam, fragte er, ob sie Tennis gespielt hatte, obwohl sie nur an zwei Nachmittagen in der Woche spielte. Er befragte sie zu ihrer Partnerin, der Frau eines Zahnarztes namens Phyllis. Derek kannte Phyllis überhaupt nicht, doch er verachtete sie.
Pamela war die weite Strecke von Finchley gekommen. »Es ist offenbar die einzige Möglichkeit, dich zu sehen. Das Eheleben muss dir gefallen. Oder Wealdstone.« Sie lachte. »Mutter hat gesagt, dass du sie hinhältst.« Ursula hielt seit ihrer Hochzeit alle hin, lehnte Hughs Angebote, auf eine Tasse Tee »vorbeizuschauen«, ab und überhörte Sylvies Andeutungen, dass sie zu einem sonntäglichen Mittagessen eingeladen werden wollten. Jimmy war auf dem Internat, und Teddy studierte im ersten Jahr in Oxford und schrieb ihr wunderbare lange Briefe, und Maurice hatte selbstverständlich nicht vor, irgendein Familienmitglied zu besuchen.
»Ich bin sicher, dass sie deswegen nicht allzu unglücklich ist. Wealdstone und so weiter. Das ist nicht ihre Sache.«
Sie lachten beide. Ursula hatte nahezu vergessen, wie sich Lachen anfühlte. Ihr schossen Tränen in die Augen, und sie musste sich abwenden und mit den Teesachen beschäftigen. »Es ist so schön, dich zu sehen, Pammy.«
»Du weißt, dass du in Finchley immer willkommen bist. Ihr solltet euch ein Telefon zulegen, dann
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