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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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undurchdringlichen Entfernung an, daß ich einen Moment dachte: Ich habe sie verloren. Doch nach diesem Augenblick des Zagens entreißt mich schon die Wärme ihrer Wange an meiner der schwindelerregenden Ferne.
    »Ich kann Euch nicht umarmen, Modesta.«
    Kann sie mich nicht umarmen, weil ihre Handgelenke sie noch schmerzen? Dafür kann ich meine Handflächen auf die zarten Schultern legen, an den weich geschwungenen Rükken, kann die Arme um ihre Taille schlingen und sie so fest an mich ziehen, daß ich sicher bin, sie nie mehr zu verlieren.
    »Leider verliert man sich immer, Kleines! Das Leben reißt sogar jene auseinander, die sich ähneln wie nichts sonst. So wie man sich auch manchmal von sich selbst entfernt, déchiré … Ihr werdet mich verstoßen, Modesta.«
    »Warum sagt Ihr das, Joyce, warum?«
    »Wenn Ihr erst einmal wißt …«
    »Aber ich vertraue Euch nun, das habe ich doch schon bewiesen.«
    »Habt Ihr etwas von den Genossen gehört?«
    Die Frage nach den Genossen irritiert mich. Ich habe ihr alles von mir erzählt. Warum tut sie es mir nicht gleich? Sie spricht immer nur von anderen, von draußen.Warum? Warum sage ich ihr nicht einfach, was mir der Genosse Cianca empfohlen hat, der diesmal noch ein anderes Anliegen hatte, als bei mir das übliche Geld abzuholen:
    »Sieh einmal, Modesta, hier im Lebenslauf unserer Frau Joyce gibt es keinen Hinweis auf Schwächen oder Aussetzer jedweder Art. Sie wird als eine Frau mit außergewöhnlichem Mut und Kraft beschrieben. Es ist beeindruckend, wieviel sie für die Sache getan hat. Wir haben überschlagen, daß sie, mal hier, mal dort, insgesamt doch recht lange Zeit im Gefängnis verbracht hat. Der Selbstmordversuch zeigt, daß sie sich aufgerieben hat, daß sie nicht mehr kann … Zehn Jahre Klassenkampf und Verfolgung sind lang. Da haben wir schon so einiges erlebt! Du erinnerst dich doch an Franco? Wer hätte gedacht, daß er, kaum daß er wieder frei ist, bei der ersten Aufforderung, außer Haus zu schlafen, weil ihm dort Gefahr drohe, nicht nur die Warnung in den Wind schlägt, sondern auch noch im Morgengrauen bei einem falschen Alarm aus dem Fenster springt und sich alle Knochen bricht … Also, vorausgesetzt natürlich, daß sie es überhaupt ist … Aber der Beschreibung nach sieht es ganz so aus. Hier steht, daß sie Narben an der Brust hat, weil sie gefoltert wurde: diese Spielchen, während eines Verhörs Zigaretten auf dir auszudrücken.«
    »Ja, Joyce, und hier habe ich den Zettel mit dem Namen des Schiffes, das am Montag in Richtung Buenos Aires ausläuft. Sie wollen, daß Ihr abreist, Joyce.«
    »Oh, Gott sei Dank, Modesta. Das ist ein wahres Glück, seit einem Jahr bin ich nicht mehr ich selbst. Ihr mögt mir nicht glauben, aber früher war ich eine andere! Es ist, als sei etwas in mir zerbrochen. Ich bin nicht mehr Herr über meine Nerven. Doch all die Worte sind nutzlos.Fakt ist, daß ich für alle zur Gefahr geworden bin und abreisen muß.«
    »Und ich sage Euch, daß Eure Worte nicht nutzlos waren. Hier steht, daß Ihr Montag früh abreisen sollt, den anderen zufolge … und wie ich sehe, auch der absurden Forderung zufolge, die Ihr an Euch selbst stellt.«
    »Welche absurde Forderung?«
    »Koste es, was es wolle, die Heldin zu spielen oder zu sterben.«
    »Unsinn!«
    »Von wegen Unsinn. Ich selbst, das habe ich bereits gesagt, glaube nicht an Helden, seien sie tot oder lebendig, und ich lasse Euch nicht abreisen. Nicht nur, wie Ihr meint, weil ich Euch mittlerweile liebe, Joyce, sondern weil ich keinen Genossen in Eurem Zustand gehen lassen würde. Wenn Ihr mir helft, seid Ihr hier in Sicherheit. Ihr kommt wieder zu Kräften, Ihr werdet sehen, und wenn Euch mit der Zeit Euer Pflichtgefühl wirklich dazu drängt, Euch wieder dem Kampf anzuschließen, werde ich Euch begleiten. Aber nur, wenn Ihr mir den Beweis liefert, daß Ihr wieder die Kraft und die Ruhe von einst habt.«
    »Ich fürchte mich, Modesta, ich fürchte mich vor mir selbst!«
    »Helft mir, Joyce, dem Urteil zu trotzen, das die wahren oder weniger wahren Gefährten über Euch gefällt haben. Trotzen wir ihnen gemeinsam, ich stehe Euch zur Seite. Zeigen wir ihnen, daß sie nicht unfehlbar sind, enttäuschen wir ihre Gier, ihrer allzu langen Liste von Märtyrern einen weiteren Namen hinzuzufügen. Hört nicht auf ihre Schmeicheleien: Auch ein Carlo und eine Joyce bekommen nicht mehr als einen kleinen Namen auf einem Grabstein. Wenn Ihr aber lebt, weiß ich, daßirgendwann alles

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