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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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ein Ende haben wird, daß Ihr den Kampf wiederaufnehmen könnt, als Lebende, um diejenigen zu entlarven, die sich, ich kann sie schon hören, Carlos Namens bedienen, oder Gramscis oder manches anderen. Den Toten geschieht Unrecht, wenn niemand sie nach ihrem Tod verteidigt!«
    »Ihr seid schonungslos, und vielleicht habt Ihr recht, aber ich bin mir meiner selbst nicht mehr sicher. Jetzt fühle ich, daß ich mir von Euch helfen lassen könnte, wenn ich Euch helfe, wie Ihr sagt, aber wenn ich allein bin, nachts oder gestern abend … Ich schaffe es nicht, Modesta! Wenn ich hier in einem Moment der Schwäche … Euch, Stella, die Kinder … alle würde ich mit hineinreißen.«
    »Auch dieses Risiko nehme ich auf mich. Seht mir in die Augen. Wenn Ihr mich verratet, nicht als Genossin, sondern als Mensch, indem Ihr Euch umbringt, werde ich Euch wie einen Verräter im Garten drei Meter unter meiner Erde begraben, ohne Totengräber und Genossen.«
    »Das würdet Ihr tun, Modesta, allein?«
    »Ich bin nicht allein. Pietro ist stets bei mir, achtsam und ergeben.«
    »Und mein Gepäck, die ganzen Beweise, daß ich hier war?«
    »Gepäck läßt sich leicht verbrennen, und Ihr: ein Gast, der abgereist ist und nichts mehr von sich hat hören lassen.«
    »Und Stella? Was würde Stella sagen?«
    »Stella stellt keine Fragen. Sie sagt höchstens wie in Joses Fall: ›So ein wohlerzogener junger Mann! Wer hätte das gedacht, daß er uns nicht einmal mehr eine Postkarte schreibt.‹«
    »Seit ich hier bin, verstehe ich die Welt nicht mehr. Wenn in der Vergangenheit jemand so mit mir geredet hätte, wie Ihr es jetzt tut, hätte ich ihm nicht geglaubt und es mit der Angst zu tun bekommen. Eure unverständliche Entscheidung hingegen gibt mir Sicherheit.«
    »Weil ich es Euch überlasse, zu leben oder zu sterben. Wenn man uns die Freiheit nimmt zu sterben, wird der Zwang zu leben ein grausamer Kerker. Hier seid Ihr frei, Joyce, in diesem Haus fallt Ihr niemandem zur Last, weder lebendig noch tot. Zerreißen wir dieses Schiff, den Kapitän, der zum Leben zwingt. Ab in die Flammen damit! Kommt ans Feuer, schaut, wie schnell das Papier verbrennt, das Holz, der Zwang! Wie viele Schiffe habe ich so schon mit Mann und Maus verbrannt!«
    »Ist das wahr, Modesta?«
    »Mindestens vier! Das letzte zusammen mit Pietro. Ich hasse Schiffe! Das Meer mag ich, ich habe schwimmen gelernt, aber im Herzen bin ich immer noch ein Mensch aus dem Inselinneren, und niemand wird mir jemals weismachen können, daß ein Stahlkoloß, so groß wie ein Wohnhaus, schwimmen kann … Helft Ihr mir, Joyce?«
    »Dann wolltet Ihr also nie, daß ich abreise?«
    »Nie!«
    »Wenn du mir hilfst, Modesta, fühle ich, daß ich es schaffen kann.«
    »Jetzt, wo du mich duzt, schaffen wir es ganz gewiß, Jò. Darf ich dich Jò nennen?«
    »Natürlich.«
    »Du mußt mir deine Brüste zeigen, Jò.«
    »Ich verstehe nicht?«
    »Sie müssen doch Narben haben.«
    »Oh!«
    »Aber nein, du darfst nicht zurückweichen und dir den Morgenmantel zuhalten.«
    »Ich schäme mich aber!«
    »Wer sagt mir, ob es Scham ist oder ob du in Wirklichkeit vielleicht doch nicht Jò bist?«
    »O Gott, Modesta, nein, das kann ich nicht! Noch nie hat mich jemand nackt gesehen!«
    »Aber die Agenten müssen dich nackt gesehen haben, Jò.«
    »O ja! Und es war so beschämend, Modesta! Die Scham brannte heißer als ihre Zigaretten!«
    »Warum weinst du? Wer würde sich denn eines so schönen Körpers schämen? Oder weißt du nicht, daß er schön ist? Sieh doch nur die zarte Haut an Hüften und Bauch. Warum schämst du dich?«
    »Ich weiß es nicht. So war es schon immer. Auch mit meiner Mutter, immer.«
    »Laß mich deine Brüste sehen. Ich kann deine Arme nicht auseinanderzwingen, aus Sorge um deine Handgelenke … So, weg mit dem Morgenrock, dem Nachthemd, es passiert doch nichts. Wieso verbirgst du dein Gesicht wie ein kleines Mädchen? Ich möchte lediglich liebevoll die Male betrachten, die mir beweisen, daß du meine Jò bist. Da sind die Narben! Liegt es an den Narben, daß du dich so schämst?«
    »Nein, nein! Es war schon immer so, immer, auch vorher.«
    »Hattest du vielleicht Angst, daß du häßlich bist?«
    »O ja, so weiße Haut. Und dann all die Wunden …«
    »Sie sind schön, Jò! Sie sind wie die Maserungen des Marmors, eine Verführung der Lippen … jedes Brandmal ein Kuß … ein Kuß auf jeden Schnitt, wo die heilende Wunde die Lust noch verstärkt.«
    »O Modesta, deine Lippen

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