Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
…«
»Ich habe auch eine Wunde. Seit sie mir zugefügt wurde, ist sie die sensibelste Stelle meines Körpers.«
Jetzt, da sie alarmiert die Lider hebt, wißbegierig, erwärmt sich das erst noch fremde Du auf seinem Weg in ihre Augen, die meinen Blick zu durchdringen suchen. Meine Kleider brennen, schneiden mir in die Hüfte, in die Taille.
»Ja, ja. Wo? Du auch … Aber wo nur?«
»Nein, Jò, nicht der Busen … Unter dem Pony findest du sie, aber sie ist alles andere als heldenhaft.«
»Oh, schau! Ein langer, dünner Schnitt, wie von einem Messer.«
»Es war nur der Schuß aus dem Revolver eines Liebhabers, wie man so sagt.«
»Und ich küsse sie trotzdem, wie du es bei mir getan hast. Hundert, tausend Küsse auf diese Schlange des Schmerzes.«
Ich verliere mich im Küssen ihrer Wunden. Sich einen Moment lang vergessen und im nächsten die geliebten Formen noch klarer wahrnehmen. Tiefer den Duft ihrer Haut einatmen. Einander nach langer Abwesenheit wieder umarmen. Beruhigend legt sie ihre Hand auf meine Stirn. Ich nehme ihre Finger in meine … sie niemals mehr verlieren! Erst als ich mein Gesicht zwischen ihren Brüsten vergrabe, beruhige ich mich.
»Wie hübsch du als Mädchen gewesen sein mußt, Modesta!«
»Das glaube ich nicht.«
»Ich aber. Hast du denn keine Fotografie?«
»Nein, ich hasse Fotos.«
»Warum? Ich hätte dich gerne als kleines Mädchen gesehen.«
»Stell es dir vor, das ist dasselbe. Ich brauche das nicht: Ich schließe die Augen und sehe, wie du früher warst.«
»Und wie war ich?«
»Nimm mich in den Arm, dann zeige ich es dir … Nein, nein, warum weichst du zurück, willst du nicht?«
»Doch, es ist nur, daß …«
»Ist dir kalt?«
»Nein.«
»Schämst du dich? Ist es dir wieder peinlich? Na gut. Ich will nicht, daß du rot wirst. Keine Sorge, ich schaue dich nicht an, ich helfe dir, dich wieder anzuziehen, und sehe dabei weg.«
»Du hast mir nicht von diesem Liebhaber erzählt, Modesta.«
»Ich hatte ihn vergessen wie viele andere. Ich habe dir nur die wichtigen Dinge erzählt, alles andere ist überflüssig: Episoden, die vielleicht nützlich, aber nicht notwendig waren.«
»Episoden! Du bist wirklich sonderbar, einen Schuß aus einer Pistole, der dich hätte töten können, bezeichnest du als Episode?«
»Er konnte mich nicht töten. Ich wußte, daß er mich nicht töten würde. Wie ich auch wußte, das habe ich dir erzählt, daß mich Carlos Tod und Beatrices Wahn danach nicht vernichten würden.«
»Aber du mußt doch zugeben, daß man schon neugierig wird auf einen Mann, der fähig ist, dir solch eine Wunde zuzufügen, was für eine Wunde!«
»Oh, was das angeht, stand ich ihm in nichts nach.«
»Hast du ihn umgebracht?«
»Nein! Das gelang nicht einmal mir. Ich habe ihm nur ein kleines Souvenir hinterlassen. Mir wurde erzählt, daßer rund ums Handgelenk eine Wunde hat und daß ihm ein Finger fehlt.«
»Und da lachst du?«
»Soll ich etwa weinen?«
»Aber wie hieß er, wer war es?«
»Ich habe keine Lust, mich daran zu erinnern. Ich habe dir alles gesagt, Jò, alles. Warum interessiert dich das überhaupt? Wir werden ihn sowieso niemals wiedersehen. Ich habe keine Lust zu reden. Ich habe nur Lust, deine Stimme zu hören. Wenn du erzählst, hat man das Gefühl, einem Märchen zu lauschen. Was für ein abenteuerliches Leben du hattest! Du sagst nichts? Bist du eifersüchtig auf diesen Burschen?«
»Ach! Dann war er also jung. Das dachte ich mir.«
»Oh, das gefiele mir, wenn ich dich auch einmal eifersüchtig machen könnte, so wie ich es war.«
»Du, eifersüchtig?«
»Natürlich, bei all den wichtigen Menschen, die du kennst. All die Länder, die du gesehen hast. Wer weiß, wie viele Männer und wie viele Frauen dich schon geliebt haben. Und dieser Jose? Ich hasse ihn! Du hast ihn geliebt, sei ehrlich?«
»Von wegen viele! Mich und mein Selbstbild einer gescheiterten Revolutionärin zu lieben wäre wirklich der Gipfel. Es gibt ja so manchen Masochisten, ja, aber nicht bis zu diesem Punkt.«
»Dann hat er dich geliebt und liebt dich immer noch, ich weiß es. Allein die Vorstellung, ein anderer könnte dich begehren, ist mir unerträglich.«
»Jose in mich verliebt? In die Tochter eines Botschafters und einer türkischen Adeligen? Jose strebt nach Höherem, Heroischerem. Wenn du wüßtest, wie er sich immer über mich lustig gemacht hat. Freundschaftlich, natürlich, aberes verging keine Zusammenkunft, bei der er mich nicht mit den Worten
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