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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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begrüßt hätte: ›Oh, da ist ja auch unsere Jò, die zwischen einem Duftbad und dem Besuch einiger Ateliers im Faubourg Saint-Honoré auf wunderbare Weise Zeit findet, sich mit uns zu befassen.‹ Es war witzig gemeint, und gleichzeitig war er der einzige, dem der Schnitt eines Kleides oder die Form eines Hutes auffiel.«
    »Siehst du, daß er verliebt war? Das sind die typischen Reden eines verliebten Mannes, der hinter der Verachtung seine Gefühle verbergen will.«
    »Warum ziehst du dich zurück, Kleines? Dein Kopf hat mich gewärmt. Komm wieder in meinen Schoß. Deine Augen funkeln im Schatten wie Mehmets Augen.«
    »Wer ist Mehmet?«
    »Meine Siamkatze. Wenn es dich beruhigt, das einzige Lebewesen, das ich jemals wirklich geliebt habe. Komm wieder her, kleine Mehmet, und laß dich kraulen. Aber auch er hat seine Fehler.«
    »Wer, Mehmet?«
    »Nein, Jose.«
    »Ach, erzähl!«
    »Jose wettert immer gegen die Liebe, gegen Gefühlsduselei, gegen die Idealisierung der Frau, gegen diese Schnulze ›Herz‹ … Gott, wie er dieses Buch haßte! Jose behauptete immer, die einzigen Frauen, die es verdienten, Rebellinnen genannt zu werden, seien solche wie La Belle Otero, manche Schauspielerinnen, Tänzerinnen, Femmes fatales, die die Männer ausnutzen und sie bis in den Selbstmord treiben. Interessante These mit einem wahren Kern, wenngleich eher anarchistischer als kommunistischer Natur. Ihm zufolge sind diese Frauen die einzigen, die sich erheben, indem sie die bestehende Ordnung untergraben.«
    »Na ja, irgendwie hat ja auch Gramsci …«
    »Ja, ja. Wenn es darum geht, könnte man auch aus Stendhals Heldinnen etwas Derartiges herauslesen. Denk nur an die Sanseverina, an die Äbtissin von Castro oder Madame de Rênal, die sich erst dadurch, daß sie sich in Julien verliebt, der gesellschaftlichen Zwänge bewußt wird. Nur daß Jose sich nicht mit Theorien zufriedengibt, er will die Ideen in die Praxis umsetzen und trifft dabei, der Arme, auf eine andere Realität als die, die er sich ausmalt. Man wäre geneigt, darüber zu lächeln, hätte er nicht seit seiner Jugend in der schönen Villa in Parma so darunter gelitten. Er begann die Mädchen aus seiner Welt zu verbannen, zu girlish , wie er immer sagte, und suchte Inspiration und Unterstützung in Bordellen oder auf der Straße. Und fatalerweise verliebte er sich, den Kopf voll romantischer Vorstellungen, in eine gewisse Moira – ein Künstlername, denke ich –, auf die er in einem Freudenhaus in Ferrara gestoßen war. Zehn Kilo nahm er ab zwischen Studium, Politik und immer wieder dieser Moira, die von frühester Kindheit an – sie mußte gut zehn Jahre älter sein als er – Demütigung und Unrecht erfahren hatte, bis sie Jose begegnet war: ›Sie hat alles überstanden, ist unvoreingenommen ihrer Arbeit nachgegangen, ohne sich zu schämen, hat ohne Klagen den Lebensunterhalt für ihre beiden Kinder verdient …‹ usw. usw. ›Ich habe meine Frau gefunden!‹, so lief er jubelnd durch die Straßen. Und kaum hatte er ein bißchen Geld beisammen, ging er zu ihr, nahm sie mit und machte sie zu seiner Lebensgefährtin, wie er sagte, aber Carlo und ich glaubten, daß er sie freigekauft hat. Wenn ich dir das jetzt erzähle, Modesta, merke ich, daß seine gesamte Generation diese romantisierende Sympathie für Prostituierte hegt. Das muß an der großen Verbreitung und derBegeisterung für russische Literatur liegen, die nach dem Krieg bei uns ausbrach.«
    »Aber selbst heute noch …«
    »Ja, natürlich, aber mit mehr Zurückhaltung. Damals tauschten die Jugendlichen die Übersetzungen slawischer Autoren untereinander wie Bonbons. Ach ja, der russische Romantizismus, nicht nur die weniger bekannten wie Arzybaschew, Kuprin, sondern auch Dostojewski mit seinen reinen, heiligen Prostituierten. Und Tolstoi? … Wie gut es tut, mit dir zu reden, Modesta. Erinnerst du dich an ›Auferstehung‹? Ich hatte es fast vergessen. Wie gerne würde ich es noch einmal lesen. Nichts zu machen, sagte meine Mutter immer, die Bücher, die uns geprägt haben, muß man alle zehn Jahre wiederlesen, wenn man sie ergründen will.«
    »Du warst gerade bei Jose. Was wurde aus ihm und Moira?«
    »Tja, Moira …«
    »Ließ sie sich auslösen?«
    »Liebend gern! Nur daß sie eine totale und offizielle Auslösung erwartete, ohne revolutionäre Abstriche, sondern komplett kleinbürgerlich mit kirchlicher Trauung und allem Drum und Dran.«
    »Ach was! Und Jose?«
    »Er ließ sie reden und wandte

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