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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Leib zurückkehrst. Klar, gegenüber den Anführern gebrauchen sie Worte als Waffen, doch machen wir uns nichts vor: Worte schneiden nicht so ins Fleisch wie die Rasierklingen, die sie häufig benutzen.«
    »Und du?«
    »Nach einem Monat verstand ich, daß ich jegliche Autorität unter den Genossinnen von Bäuerinnen und Arbeiterinnen verlieren würde. Für dieses Muster hier, wie du es poetisch nennst, mußte ich sie auf alle Arten provozieren und persönlich beleidigen. Nur so konnte ich viele Tage später erhobenen Hauptes in die Zelle zurückkehren. Es ist unfaßbar, darum zu kämpfen, gefoltert zu werden, doch endlich hörten die mißtrauischen Blicke auf, und wir waren wieder vereint.«
    Nun schweigt »die da«. In ihrem Gesicht, das sich ruhig über mich beugt und mit den gelben Pupillen meine Stirn und meinen Hals absucht, entdecke ich diefeinen Kratzer. Joyce hatte recht, sie benutzen Rasierklingen.
    »Nichts, was?! Mamas Liebling, nichts! Du gehst hin und kehrst ohne einen Kratzer zurück, die Haare schön gekämmt, nicht einmal der Lippenstift verschmiert, was, Fürstin?! Bist du vielleicht eine Spionin? Nina mußt du das sagen! Red schon, oder ich prügel die Antwort aus dir heraus, wer bist du?«
    Ich bin müde. Ich könnte Joyces Beispiel folgen, aber ich habe nicht die Absicht, die Heldin zu spielen, und als die da sich mit spitzen Fingernägeln auf mich stürzt, packe ich mit einer Faust ihre Handgelenke – Nina ist groß, aber sie hat schmale Glieder – und versetze ihr mit der anderen Hand eine, zwei, drei Ohrfeigen. Unter den Schlägen platzen die Schnittwunden auf, und schließlich läßt sie von mir ab und schweigt.
    »Damit das nicht noch einmal passiert, merk dir eins! In meinen Augen bist du die Spionin hier. Du, mit deinen blauen Flecken, bist eine Spionin! Blaue Flecke lassen Spione authentischer aussehen, wie? Wer bist du? Red schon, oder ich mache mit den Ohrfeigen weiter, wer bist du?«
    »Bei meinen Eiern!«
    Noch nie habe ich diesen Kraftausdruck aus dem Mund einer Frau gehört, und vielleicht liegt es an meinem unwillkürlichen Lächeln – oder ist es ihr Dialekt, der die Worte mit seinen sanften, zögernden Pausen mildert? –, daß ich überrascht innehalte.
    »Bei meinen Eiern, leck mich! Ich blute! Aber das ist gut. Wer sich so ärgert, ist keine Spionin. Schlaf jetzt. Morgen unterhalten wir uns mal …«
    »Ich bitte Euch, Fürstin, morgen wollen wir versuchen, unsere Unterhaltung etwas ergiebiger zu gestalten.Denkt darüber nach: Wenn wir es schaffen, morgen ein oder zwei Dinge zu klären, wäre es um einiges angenehmer, dort draußen im Sonnenschein mit Euch in einem Café oder einem Park zu diskutieren …«
    »Hast wohl noch zuviel Puste, Fürstin, daß du reden willst? Spar sie dir lieber für die Herren auf. Sieht so aus, als hätten wir noch alle Zeit der Welt, uns zu unterhalten.«
    Nie zuvor war Joyce so verständnisvoll und strahlend, trotz der dichtgesäten, dunklen Schnittwunden, die in der Finsternis des Raumes ihre Züge verwischen. Sie führt ihren wohlgeformten, langen Finger an den Mund und bezeichnet mir zu schweigen und meine Kräfte zu sparen, nach meiner Rückkehr von den Diskussionen mit den Anwälten … Zu jeder Tageszeit erwartet sie mich, im Stehen oder Liegen, aber immer mit weit geöffneten Augen, die sie aufmerksam auf mir ruhen läßt. Und sie wird nicht nervös, wenn ich Lärm mache, um den Weg zu meiner Liege zu finden.
    »Danke, Jò, für dein Verständnis, danke, mein Herz.«
    »Die Typen haben dich ganz schön weichgekocht, was, Fürstin? Aufwachen! Wer ist dieser Jò, ist das dein Macker?«
    »Ich habe sie umgebracht …«
    »O nein, Fürstin! Jetzt heißt es aufwachen! Bisher hab ich mich rausgehalten und dich in Ruhe gelassen, weil du nicht phantasiert hast, aber dieses kopflose Gerede ist gefährlich! Verdammt, wenn wir nur eine richtige Lampe hätten statt dieser bläulichen Funzel wie in der Vorhölle, was die sich immer ausdenken! Los, setz dich hin und mach die Augen auf. So ist es gut, sieh mich an – auch wenn’s schwerfällt –, sieh mich an, ich bin Nina und nicht dein Mann.«
    »Ach ja … Was haben sie mit deinem Gesicht gemacht, du siehst aus wie ein Reibeisen.«
    »Faß mich bloß nicht an. Merk’s dir lieber gleich, so machst du dieses verfluchte Jucken nur noch schlimmer.«
    »Was haben sie bloß mit dir gemacht, Nina?«
    »Nichts, ein bißchen Spaß gehabt mit der Rasierklinge, die üblichen Spielchen … Wenn’s nur

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