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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Fürstin.« Sie scheint mich wirklich gerne so zu nennen. Jacopo, Bambolina, sagt es auch den anderen, damit sie Bescheid wissen: Auch im Gefängnis werden Fürstinnen und Anführer anders behandelt. Kaum ist Schwester Giuliana durch die Tür verschwunden, springt »die da« auf die Füße, stürzt sich auf mich wie eine Verhungernde aufs Brot, und beginnt auf mich einzureden wie jemand, der seit Jahren nicht mehr gesprochen hat.
    »Wer bist du? Warum ist dir diese Schlampe vonSchwester so ums Maul gegangen? Außerdem bin ich gar nicht ›vom Kontinent‹: Ich bin Römerin!«
    Ihre Stimme ist brüchig, vielleicht vom langen Schweigen, doch ihr Gesicht, in dem zwei grüngelbe Augen blitzen, wirkt trotz der Schwellungen von Schlägen und Kratzern (oder sind es Schnittwunden?) nicht häßlich.
    »Sag schon, wer bist du? Willst du mir wohl antworten?«
    Unter dem Beschuß dieses unerbittlichen gelben Blicks ist Modesta versucht, ihr zu antworten, nur um die Augen schließen und sich kurz in die Dunkelheit zurückziehen zu können.
    »Nein, Modesta, gerade in den Zellen droht die größte Gefahr. Auf zwei echte Gefangene kommt einer, der vielleicht äußerlich noch überzeugender wirkt als die übrigen, aber in Wirklichkeit ein Spion ist.«
    Joyce hat Erfahrung mit Gefängnissen, und man muß aufmerksam zuhören, wenn sie davon erzählt, es könnte noch einmal nützlich sein.
    »Man kann nie wissen, Bambú.«
    »Aber es ist so langweilig, wenn sie davon anfängt, Tante.«
    »Dennoch muß man ihr zuhören und sich später daran erinnern.«
    »Und außerdem, du im Gefängnis, wie soll das passieren?«
    »Man kann nie wissen, Bambú, nie!«
    Modesta erinnert sich und öffnet die Augen, um dieses unerbittliche Wesen zu betrachten, das redet und redet und Fragen stellt … Und wie sie sich wegdreht und mit den Fäusten den schmierigen Kalk von den Mauern schlägt, das quält Augen und Ohren, schlimmer noch alsder Scheinwerfer, der Modesta von der Gestalt hinter dem Schreibtisch trennt:
    »Warum, Fürstin, zwingt Ihr mich an diesen Tisch? Ich leide mehr darunter als Ihr, das könnt Ihr mir glauben! In dieser Uniform steckt ein Mann, der darunter leidet, wenn er Euch so müde sieht, doch unglückseligerweise ist es meine Pflicht. Ich bitte Euch einmal mehr: Versucht Euch an etwas Konkretes zu erinnern. Vielleicht wollte sich jemand rächen, indem er Euch in diese Männergeschichten hineingezogen hat? Ein zurückgewiesener Verehrer? Das wäre bei Eurer Ausstrahlung nicht verwunderlich. Manche Männer werden gnadenlos, wenn man sie zurückweist … Versucht Euch zu erinnern, zwei, drei Namen würden uns schon genügen. Wir übergeben sie der Justiz, und Ihr kehrt in Null Komma nichts nach Hause zurück.«
    Hinter dem dunklen Gitter des Beichtstuhls umschmeichelte die leise Stimme des Priesters aus Palermo schlangengleich die Beichtende und ließ sie vor Ekel und Angst noch mehr erzittern als die Schreie Madre Leonoras oder des Offiziers, der mich seit drei Stunden in diesem Zimmer umkreist und wie besessen brüllt:
    »Nein, kein Stuhl heute! Heute redet es sich besser im Stehen! Draußen scheint die Sonne … reden … Ihr seid so schön, Fürstin, so jung! Warum wollt Ihr durch Euer Schweigen diese sowohl für Euch als auch für mich unangenehme Unterredung in die Länge ziehen?«
    Was tut er jetzt? Warum bleibt er stehen? Gerade hatte ich mich an den dauernden Galopp der kurzen, krummen Beine gewöhnt. Nun aber bleibt er immer wieder stehen und stampft mit den Füßen auf, wie bei einer Parade.
    Und in den darauffolgenden Tagen, wenn ich eintrat und mich setzte: »Nein, kein Stuhl, im Stehen spricht essich besser.« … Die Zigarre! Warum betrachtet er nun den kleinen Aschestummel an seiner Zigarre und läßt seinen Blick dann lange auf mir ruhen, während er sie mit einem Lächeln zwischen den Fingern dreht? Joyces Brüste waren noch Jahre später von diesem feinen Muster gezeichnet … »Es tut mir leid, ich sehe, daß Euch die Augen zufallen, aber wir müssen noch reden.« Nun setzt auch er sich, doch er raucht nicht mehr … Sie haben mir nicht einmal frische Kleider gegeben, obwohl ich schon einige Tage hier bin.
    »Tja, liebe Modesta, es war eine schreckliche Entdeckung, und noch schrecklicher war meine Entscheidung. Es ist grauenhaft, in der Zelle beobachten zu müssen, wie all diese armen geschlagenen und vergewaltigten Frauen zurückkehren, und zu sehen, wie du durch deinen Sonderstatus heil und mit allen Kleidern am

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