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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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das wäre, Fürstin.«
    »Was denn noch, Nina, um Himmels willen?«
    »Ach, wie ich sehe, holt dich das Thema wieder auf den Boden zurück, sehr gut!«
    »Um Himmels willen, was haben sie noch getan?«
    »Na, was tun sie schon, hm, wenn von Männerspaß die Rede ist, um dich von vorn und von hinten in ein Sieb zu verwandeln?«
    »Und du lächelst?«
    »Ja was, soll ich etwa heulen? Heulen stopft die Löcher auch nicht.«
    »Wie viele waren es?«
    »Das wüßte ich selbst gern! Vielleicht drei – kannst dir ja vorstellen bei dem Durcheinander … Aber ich würde schwören, daß ein ganzes Regiment über mich drübergerobbt ist, ein Regiment mit Pauken und Trompeten.«
    »Es ist schön, wenn du sprichst, Nina!«
    »Wenn du wüßtest, fijetta 13 , wie gern ich rede! Wie mit meinem Vater, der war Anarchist und hat uns beigebracht, uns klar auszudrücken und keine falschen Propheten anzubeten. Ich weiß noch, als Italien in den Krieg eintrat, da war ich erst sieben, aber ich erinnere mich noch ganz genau, weil zu Hause nicht mehr gekocht wurde und ich einen Bärenhunger hatte, ich weiß noch, wie mein Vater aus dem Fenster spuckte und immer wieder sagte: ›Glaubihnen nicht, Nina, das sind keine Sozialisten. Wenn sie den Krieg wollen, sind sie Verräter.‹«
    »Dann bist du also noch jung!«
    »Von 1908. Wundert dich das? Kann ich mir vorstellen! Sieh mich nicht so an! Meinst du, ich wüßte nicht, daß ich wie eine alte Schachtel aussehe? Aber sobald diese Wunden verheilt sind und ich mir wieder die Haare färben kann … diese schwarzen Ansätze an den Haarwurzeln machen alt, ich bräuchte etwas Henna! Morgen frage ich Schwester Giuliana, dann haben wir mal was zu lachen!«
    »Was ist das?«
    »Tjaa, ein Balsam! Er gibt den Haaren eine schöne rote Farbe, ohne sie kaputtzumachen wie andere Färbemittel, im Gegenteil, er pflegt sie, weil er aus Kräutern gemacht ist, und wann hätten Kräuter schon mal geschadet, oder, Kinder? Aber da wir gerade über Gesundheit reden, ich müßte dir etwas sagen … Ich weiß, daß es dir peinlich sein wird.«
    »Mir? Was denn?«
    »Ja, also, euch Bürgerlichen fehlt da ein wenig die Übung. Wie mein Vater immer sagte, ihr seid verwöhnt. Zuerst war das ja in Ordnung, weil, wer konnte euch das Privileg schon nehmen? Aber jetzt … Wer hätte auch gedacht, daß selbst ihr einmal im Knast landen würdet!«
    »Was redest du da? Ich verstehe dich nicht.«
    »Deine Schamhaftigkeit – ich habe dich beobachtet, glaub mir – ist mir nicht entgangen, und ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll … Um es kurz zu machen, Kinder!, fühlst du, wie hart und gespannt dein Bauch ist? Als wärst du eine Trommel. Du mußt kacken, fijetta bella , kacken, oder dein Kopf geht in Rauch auf und deine Eingeweide in Flammen.«
    Sind es Ninas offene Worte, oder ist es die Wärme ihrer Hand, die über meinen angespannten Bauch tastet, daß ich in Tränen ausbreche und mit ferner, vergessener Stimme sage: »Ich kann nicht, Nina, ich kann nicht!« Wann habe ich diese Kinderstimme im dunklen Zimmer schon einmal gehört? War es Prando, der sagte: »Ich kann nicht, Mama, ich kann nicht!«, oder war es Bambolina? Jacopo weinte nie, sein Gesicht verdüsterte sich bloß wie bei einem besonnenen, weisen Greis.
    »Wenn du fertig bist mit Weinen – es wird dir guttun –, müssen wir es hinter uns bringen, Schätzchen! Auf, auf, vor wem schämst du dich? Hier sind ja nur wir zwei. Wenn sie dich mit zehn anderen in die Zelle gesteckt hätten – die sich alle in denselben Kübel entleeren sollen –, was hättest du da getan, hm?«
    »Zehn Frauen in einer Zelle, Nina? Wie schrecklich!«
    »Und nicht alle so zartfühlend wie du, sondern fröhlich am Glotzen, ob es nun endlich losgeht«
    »Fürchterlich!«
    »Nein, aber wenn du zu ihnen stößt, sind sie schon seit vielen Jahren drinnen, und drinnen ist es nun mal langweilig. Eine Neue bringt Neuigkeiten, ist ’ne Sensation, wie soll ich’s sagen? Besser als im Lichtspieltheater. Und wenn sie nur glotzen würden. Andererseits, was sollen sie sonst tun? Gewöhnliche Gefangene, Diebe, Huren. Oh, nicht, daß ich etwas gegen Diebe und Huren hätte, das ist in der Anarchie nicht vorgesehen. Wir hassen die Herren, die sie dazu treiben, zu klauen und auf die Straße zu gehen. Nicht umsonst heißt es in dem Lied: ›Es sind unsre Töchter, die Prostituierten …‹ Scheiß der Hund drauf! Ich versuche meinen Idealen treu zu bleiben, und sie werden zu Hyänen! Wenn nicht

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