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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Vergegenwärtige dir im Geist immer, daß die Natur nicht Gott ist, daß ein Mensch keine Maschine ist, daß eine Hypothese keine Tatsache ist. Und sei überzeugt, daß du mich überall dort nicht verstehen wirst, wo du etwas zu bemerken glaubst, was im Gegensatz zu diesen Prinzipien stünde.«
    Diderot warnte vor bestimmten Philosophen: »GroßeAbstraktionen«, so sagte er, »vertragen nur gedämpfte Beleuchtung. Es gibt eine Art Verdunklung, die man als ›Affektiertheit der großen Meister‹ bezeichnen könnte. Mit Vorliebe ziehen sie einen Schleier zwischen die Menge und die Natur.«
    Diesen letzten Satz hatte Jacopo unterstrichen, und daneben stand der Name eines gewissen Marx: Das bedeutete, daß das jemand sein mußte, der mehr oder weniger dasselbe behauptete. Vielleicht stand er im selben Regal wie Voltaire. Ob das einer von ihnen gewesen war? … Jacopo, Jacopo, mit seinen Büchern und seiner zierlichen Handschrift, seiner heiteren Stirn auf der Fotografie, die in keinem Widerspruch zu seinen Aufzeichnungen stand; seiner Asche in der Urne, um allen zu zeigen, daß er an keinen Gott geglaubt hatte und ohne Angst gestorben war.
    »Ach, Modesta, du fragst nur noch nach Jacopo. Ich habe dir doch schon alles erzählt. Außerdem ist er viel gereist und war gar nicht immer hier. Nein, er hat nie geheiratet. Er wollte keine Kinder, soviel ich weiß. Puh! Du hast jetzt so wenig Zeit für mich, warum bloß? Ich langweile mich den ganzen Vormittag ohne dich!«
    Das stimmte, aber in der letzten Zeit war Beatrice, nachdem sie nicht mehr befürchten mußte, daß ich wegging, mir gegenüber weniger aufmerksam, genau, wie ich es vorausgesehen hatte. Von der Fürstin vorgewarnt, hatte ich, ohne zu zögern, begonnen, mich nicht nur vormittags wie zuvor, sondern auch nachmittags um den Fürsten Ippolito zu kümmern. Und weil ich beinahe den ganzen Tag bei ihm verbrachte und inzwischen an all die guten Gerüche im Haus gewöhnt war – wie leicht man doch diese kleinen Annehmlichkeiten erlernt –, ertrugich es nicht, ihn schmutzig zu sehen. Mit Pietros Hilfe gelang es mir, ihn sauberzuhalten. Pietro, selig über die Fortschritte seines Herrn Fürsten, war mir inzwischen treu ergeben und schwänzelte, ungeachtet seiner massigen Statur, leichtfüßig um mich herum.
    »Bei Gott, hier hat wirklich eine Frau gefehlt! Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand, aber man spürt einfach die Hand einer Frau, wie mein Vater zu sagen pflegte. Wer hätte das gedacht, daß der Herr Fürst in so kurzer Zeit lernt, mit der Gabel zu essen. Ein Wunder! Ein Wunder, das nur eine Frau zustande bringt! Auch bei mir zu Hause haben Staub und Tränen alles verdüstert, als meine Mutter starb. Und erst als meine Tante, die gute Seele, bei uns einzog, sind Sauberkeit und Fröhlichkeit zurückgekehrt …«
    »Jetzt bist du schon zum Frühstück bei dem ›Ding‹, Modesta! Und ich muß allein essen! Puh! Wieso bloß?«
    Auf diese Litanei antwortete ich mit meiner eigenen:
    »Beruhige dich, Beatrice. Es muß so sein. Denk daran, daß ich für das Leben im Kloster bestimmt war, und auch wenn ich gelernt habe, zu tanzen und mich zu kleiden, und abends bei dir bin, habe ich doch eine Aufgabe zu erfüllen, die mir Madre Leonora anstelle der Berufung gegeben hat, und nichts darf mir wichtiger sein.«
    Sie schmollte und schnaufte, aber wenigstens war das Interesse an mir wiedergekehrt und sogar noch gestiegen. Sie wußte das nicht, ich aber wohl. Hatte nicht Mimmo immer gesagt: »Da ist nichts zu machen, Principessa, die Suppe kann noch so schmackhaft sein und schön serviert werden, wenn man sie jeden Tag vorgesetzt bekommt, hat man sie bald satt …«
    »Du kommst nicht einmal mehr zum Tee!«
    Ich mochte wirklich keinen Tee und ersparte mir soobendrein die stumme Anwesenheit der Fürstin; mir reichte das Geschrei jeden Montagmorgen. Außerdem mußte ich neben Ippolito, den Abrechnungen und dem Unterricht auch noch für mich lernen. Ich bin arm, nicht wahr, Mimmo? Arm, und deshalb muß ich mich durch Lektüre und Studien stärken und in mir und den anderen nach einer Möglichkeit suchen, nicht unterzugehen. Viele waren arm geboren, hatten sich aber mit dem Geist und der Kraft, die das Wissen verleiht, gerettet … Dort, vor mir, aufgereiht auf den Regalen der riesigen Bibliothek, standen ihre Namen in leuchtenden Lettern auf den braunen und goldenen Buchrücken.

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    Mit Hilfe des Arztes, eines sanftmütigen Alten, der mich mittlerweile immer

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