Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
als der Marmorboden, war ich viel größer als Beatrice. Und wenn sie mich bei der Taille nahm, während der Tanzlehrer am Klavier – eins, zwei, drei, eins, zwei, drei – zum Walzer überging, flog ich durch den riesigen, nur von leeren Stühlen und wartenden Sofas gesäumten Salon. »Und jetzt in die andere Richtung! Drehen!« Rasch drehte sich Beatrice. Es war unglaublich, aber wenn sie tanzte, hinkte sie fast gar nicht, und mit starken Händen hielt sie fest meine Taille, die sich um die Wände, die Vorhänge und die Lampen drehte.
»O meine Damen, was für ein Augenschmaus: zwei Engel, mein Gott! Zwei Engel, die sich umarmen und hoch, hoch hinauf in die Wolken fliegen! Es wurde auch Zeit, daß die junge Fürstin einen Tanzpartner bekam! Nein, nein, jetzt seid Ihr dran, Fräulein Modesta, Ihr tanzt schon gut genug, um zu führen, jetzt seid Ihr dran, den Part des Kavaliers zu übernehmen! Keine Angst, außerdem wird Beatrice Euch auch führen, wenn sie sich führen läßt, keine Sorge, das ist immer so. Ich versichere Euch, es ist immer das gleiche Lied: Die Dame tut so, als ließe sie sich führen, aber statt dessen führt sie selbst, und führt und führt … Genau so! Sehr gut! Drehen, drehen. Bravo! Bravo! Bravo! Anders kann man es nicht sagen …«
Dieser kleine Tanzlehrer, noch kleiner als Beatrice, war nicht alt, aber dafür merkwürdig glatt und zart, und er schien immerzu zu lächeln. Vielleicht weil er weder einen Bart noch einen Schnurrbart hatte? Statt dessen trug er viele Ringe, und seine rosa Fingernägel sahen aus, als seien sie lackiert. Wenn er kam, fingen alle Frauen zu flüstern und zu kichern an. Trat er zu uns, um die Stellung einer Hand zu korrigieren, strich Beatrice ihm über die schwarzen Locken, die ihm klebrig von Parfüm und schweißnaß vom Gerenne zwischen uns und dem Klavier in die Stirn fielen.
»Wie, Modesta, hast du das etwa nicht begriffen? Das hat nichts damit zu tun, daß er Tänzer ist oder sowohl die Rolle der Frau als auch des Mannes kennen muß … Oder vielleicht doch, wie scharfsinnig du bist! Aber wie dem auch sei, er ist eine Frau, so wie wir. Was für eine schmale Taille er hat! Und dabei trägt er nicht einmal ein Mieder! Wie lustig das wäre, ihn in ein Mieder zu stecken …«
Wir lachten zusammen, und er sagte, angespornt von unserer Heiterkeit:
»Nein, nein, Fräulein Modesta, nicht so schwerfällig! Jetzt seid Ihr wieder die cavalière … leicht, leicht, Leichtigkeit, Weiblichkeit! Genau so, aber klammert Euch nicht so an die Schultern der jungen Fürstin, als hättet Ihr Angst, in einen Abgrund zu stürzen. Eine Dame, das schwöre ich, hat vor ihrem Herrn keine Angst, sie weiß, daß eine leichte Berührung … genau so … was für eine schöne Hand! Und sie ist es, die den Herrn führt. Wie ich ihn beneide! Und jetzt hinauf, hinauf ins Paradies … im Dreivierteltakt: eins, zwei, drei, eins, zwei, drei …«
Wir lachten im Dreivierteltakt: eins, zwei, drei …
»Und jetzt alle beide, wenn ich bitten darf, ohne aus dem Rhythmus zu kommen, habt die Güte, mich um die Taille zu fassen … Genau so. Und nun der große Schlußgalopp! Auf die Plätze, fertig, los!«
30
Wir tanzten so gut – Quecksilber zufolge –, daß uns oft eines der unzähligen Dienstmädchen vom Fenster aus zusah. Sogar die Fürstin ließ sich eines Tages dazu herab, einer Unterrichtsstunde beizuwohnen, um meine Fortschritte zu begutachten. Nach zehn Minuten stand sie auf und schrie, schon in der Tür:
»Gut, sehr gut, alle zusammen! Seht nur: drei Grazien ohne Kavalier! Ich muß gehen, die Rechnungen erwarten mich. Tröstet euch, so gut ihr könnt!«
Sie hatte so laut geschrien, daß wir alle drei stillstanden, ohne auch nur zu wagen, uns anzuschauen. Der Donnerschlag, mit dem die Tür ins Schloß fiel, ließ uns zusammenfahren. Die Fürstin schlug die Türen immer zu. Gerade als der Tanzlehrer kreidebleich zum Klavierzurückging, wo das Fräulein zu spielen aufgehört hatte, wurde die Tür erneut aufgerissen.
»Ihr bringt mich vollkommen durcheinander! Ich bin doch aus einem bestimmten Grund hergekommen, und Ihr mit Eurer Hüpferei … also! Mody, wenn dieses Fest hier vorbei ist, erwarte ich dich in meinem Büro. Ich habe dir zwei oder drei Kleinigkeiten zu sagen. Und Ihr, Maestro, was steht Ihr da wie angewurzelt herum? Wollt Ihr nun die Stunde nutzen oder nicht? Ihr wißt ja, daß ich Euch saftig bezahle, und da paßt es mir nicht, wenn meine Mädchen Zeit verlieren. Los,
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