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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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ehrfurchtsvoll und mit aufgeklapptem Mund anstarrte, hatte ich die Erlaubnis der Fürstin erhalten, das Fenster von Ippolitos Zimmer zu öffnen. Und so vertrieb die frische Luft den schlechten Geruch, dem mit keiner Wäsche beizukommen gewesen war.
    Mit Pietro, der über mich und seinen Herrn Fürsten wachte, war dieses Zimmer mein Zuhause geworden. Keiner durfte hier hereinkommen, und da Pietro Analphabet war, konnte ich ohne Furcht Jacopos Bücher mitnehmen, um sie in Ruhe zu lesen. Mit der Zeit entdeckte ich, daß Ippolito nicht nur glücklich war, wenn ich ihm vorsang oder Märchen erzählte, sondern auch, wenn ich laut las (vielleicht, weil ich die Wörter einzeln buchstabierte). Er hörte mir verzaubert zu, und ich lernte immer mehr, je weiter ich Jacopos Hinweisen folgte … Inzwischen erschien mir der Hauslehrer, den ich noch vor sieben oderacht Monaten für ein Genie gehalten hatte, als kleiner Philister, dem man mißtrauen mußte. Und während Madre Leonora nichts weiter als eine Ordensschwester gewesen war, so erschien er mir wie ein armer Candide voller Enthusiasmus und Einfalt, glücklich und zufrieden in seiner Unterjochung. Voltaire hatte gesagt, daß man sich schuldig machte, wenn man mit zwanzig Jahren noch naiv war. Ich war zwar naiv, aber auch noch keine zwanzig. Ich paßte in den Unterrichtsstunden gut auf, aber nur, um sie danach auseinanderzunehmen und lediglich die Erkenntnisse herauszuziehen, die mir nützen konnten. Ippolito hörte glücklich zu ohne eine Ahnung davon, wie sehr ich mich abmühte. Denn mühsam war es wirklich! Die Röcke wurden mir in der Taille immer weiter, und ganz ungewohnt brach mir der Schweiß aus, wenn ich morgens Pietro dabei half, Ippolito zu waschen und anzukleiden.
    »Du bist eine Heilige, Modesta! Eine Heilige! Aber du mußt dich schonen, es ist erschreckend, wie sehr du abgenommen hast! Ja, ich weiß, das ist deine Pflicht, aber jetzt bist du nur für mich da, nicht wahr? Du denkst doch nicht etwa auch jetzt an das häßliche ›Ding‹ dort oben? Wenigstens abends habe ich dich für mich allein, nicht wahr? Komm, laß uns spielen …«
    Auch ich erwartete voller Ungeduld den Abend, ich wollte nichts anderes als sie streicheln und umarmen. Und selbst die Müdigkeit verging sofort, kaum daß sie mein Haar berührte.
    »… Stimmt es, daß Ippolito jetzt mit der Gabel ißt? Wie hast du das bloß gemacht?«
    »… Stimmt es, daß er sich jetzt baden läßt? Ja, natürlich macht das Pietro, aber du hilfst ihm doch dabei, ihn anzukleiden und ihn zu kämmen. Quecksilber hat mir gesagt, daß auch Pietro jetzt mehr auf sich achtet.«
    »… Was machst du eigentlich die langen Stunden bei ihm? Quecksilber sagt, Pietro hat ihr erzählt, daß du vorliest und das ›Ding‹ zuhört. Wie ist das nur möglich?«
    »… Hast du ihn wirklich dazu gebracht zu beten? Padre Antonio ist so glücklich darüber, daß er ihm jeden Sonntag die Kommunion bringen kann.«
    »… Ist er sehr häßlich, Modesta? Ist er wirklich so abscheulich, wie die Großmutter immer sagt?«
    »Aber nicht doch, Beatrice. Außerdem ist kein Geschöpf Gottes abscheulich. Er ist nur dick und plump, aber seine Augen sind nicht so wie die von Ti… ich meine, daß sie häßlich, aber ausdrucksvoll sind.«
    »An wen denkst du, Modesta? Du denkst doch nicht etwa an ihn? Hast du ihn am Ende mehr lieb als mich? Manchmal werde ich richtig wütend bei dem Gedanken, daß du so viele Stunden bei ihm bist, daß du ihn kämmst. Du streichelst ihn doch nicht etwa? Nicht, daß du ihm Wiegenlieder vorsingst so wie mir?«
    »Aber was redest du denn da, Beatrice! Auch wenn Ippolito krank ist, ist er doch immer noch ein Mann! Und ich bin, auch wenn ich nicht ins Kloster gegangen bin, immer noch eine Braut Christi und habe Keuschheit gelobt.«
    »Gott sei Dank, so habe ich dich wenigstens immer für mich. Ich hasse Männer.«
    Es stimmte, auch wenn er krank war, war er doch immer noch ein Mann und obendrein Fürst. Beatrice hatte recht. Wieso hatte sie nicht schon früher daran gedacht? Hatte sie zuviel gearbeitet und gelernt? Oder hatte die Ruhe, die sie in Beatrices Armen überkam, ihren Verstand so umnebelt, wie Mimmo immer sagte:
    »Ja, Principessa, zu viel Liebe verweichlicht. Mir ist das einmal passiert. Ich, der Arbeiter, habe mich wie eineKerze verzehrt. Man soll sich keinem anderen Menschen so ausliefern.«
    Ich war immer davongelaufen, wenn Mimmo so redete. Aber war das Liebe, was ich für Beatrice empfand? All diese

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