Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
erschreckenden Bücher, die von der Liebe erzählten! Sie waren schön zu lesen, aber die Leidenschaft, von der sie sprachen, hätte Voltaire als fanatisch bezeichnet, so wie die Leidenschaft für die Religion. Und dann, wer wußte, warum, waren es immer die Frauen, die darunter litten … Jacopo sagte, das läge daran, daß Frauen nur zur Liebe erzogen wurden … Sie mußte sich vor Beatrice in acht nehmen und an ihr eigenes Leben denken. Was hatte sie erreicht, seit sie hier in der Villa war? Sicher, sie hatte viel gelernt und ganz unerwartet das volle Vertrauen der Fürstin gewonnen. Und selbst wenn Carmine sie keines Blickes würdigte, mußte er sie doch inzwischen akzeptieren.
Das »Ding« war immer noch ein Mann. Ich hatte einige Male beobachtet, wie er sich berührte, während er mich ansah. Und jedesmal hatte mich Pietro schnell unter irgendeinem Vorwand weggelockt. Hatte ich diese ganze Zeit verschwendet? Aber Ippolito hatte sich nur langsam an mich gewöhnt. Eines Tages hatte ich mich verspätet und ihn gefesselt mit Schaum vor dem Mund vorgefunden, dazu einen verzweifelten Pietro. Das war es, was ich tun mußte: krank werden und sie in ihrem eigenen Saft schmoren lassen, wie Mimmo gesagt hätte.
Am Morgen darauf wachte ich mit hohem Fieber auf und brachte keinen Bissen hinunter. Und während ich alle Tabletten, Tropfen und Abführmittel wegwarf, die der Arzt mir brachte, widerstand ich den Tränen der verzweifelten Beatrice, den Erkundigungen der Fürstin, die fortwährend sagte: »Ohne sie fühle ich mich, als ob mirein Arm fehlte«, und Pietros Flehen, der mit seinem Herrn Fürsten allein nicht mehr zurechtkam. Der war nämlich völlig außer Rand und Band, seit er mich nicht mehr bei sich im Zimmer hatte.
Ich konnte mir nicht vorstellen, was passieren würde, wenn er mich wiedersah. Aber: »Eine Handlung zieht die andere nach sich und löst die Unbeweglichkeit, die sich, auch wenn sie bequem war, auf lange Sicht in einen Morast verwandelt hätte.« In diesem Jahr hatte ich feststellen können, daß der Grad von Ippolitos Idiotismus nicht so hoch war wie der von Tina. Die Verschlechterung seines Zustandes war nur eine Folge der Isolierung gewesen, die man ihm aufgezwungen hatte. Zumindest sagte er inzwischen ein paar Worte: Hunger, müde, Pipi, Mama, und Pietro nannte er merkwürdigerweise Onkel.
Zehn Tage später, als ich wieder zu ihm ging, geschah auf den ersten Blick nichts Besonderes. Nachdem Ippolito vor Freude geweint und Schaum vor dem Mund gehabt hatte, war er den ganzen Tag lang ruhig. Aber am Abend, als es Zeit für mich war zu gehen, begann er zu brüllen und mich am Rock festzuhalten. Inzwischen befürchtete er aufgrund meiner langen Abwesenheit, daß ich nicht mehr zurückkommen würde. Nur mit Mühe konnte ihn Pietro von mir lösen, und die ganze Nacht hindurch war er nicht zu bändigen, so daß man auf die Zwangsjacke und die Tabletten von früher zurückgreifen mußte. Etwas war geschehen.
In den folgenden Tagen bezogen sie im rosa Salon Stellung und kreuzten die Waffen unter meinen Augen, ohne von mir Notiz zu nehmen:
Der Arzt: »Und ich bestehe darauf, daß man eine andere Lösung finden muß, wenn er sich nicht in der ersten noch in der zweiten und auch nicht in der dritten Nachtberuhigt hat. Mit all diesen Bädern, dem Bromid und der Zwangsjacke bringen wir ihn noch um. Und für einen Mord kann ich nicht die Verantwortung übernehmen. Das ist meine Pflicht als Arzt!«
Und noch einmal der Arzt: »Es ist meine Pflicht, die Verantwortlichen darüber zu informieren – und auch Ihr, mein liebes Fräulein, seid mit dafür verantwortlich –, daß Ippolito seit heute früh jede Nahrungsaufnahme verweigert. Pietro schafft es nicht, ihm irgend etwas einzuflößen, selbst wenn er ihm den Kiefer mit der Zange auseinanderzwingt. Meine Pflicht als Arzt …«
Die Fürstin: »Von Anfang an, mein lieber Doktor, habe ich Euch bei all Eurer Pflicht immer wieder gesagt, daß es Wahnsinn ist, ein Mädchen in die Nähe dieses ›Dings‹ zu lassen. Denn sosehr er auch ein ›Ding‹ sein mag, ist er doch immer noch ein Mann. Ich weiß gut, wieviel mich das mit diesen Besucherinnen kostet.«
Der Arzt: »Die Besucherinnen sind eine Sache, aber das Fräulein Modesta ist etwas ganz anderes. Ich bestehe darauf …«
Don Antonio: »Und ich verbiete es! Ich sehe mich obendrein gezwungen, mich an die Kurie zu wenden, wenn Ihr weiter darauf besteht. Wir von der Kirche können nicht zulassen, daß sich
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