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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Milazzo gesagt hat …«
    »Was hat er gesagt?«
    »Daß du alles vergessen sollst, alles. Wenn du das tust, dann bringe ich dir viele Dinge bei …«
    Die Stimme versprach ein warmes, weiches Schlafliedaus duftenden Laken und Abenteuergeschichten von Königinnen und Herrschern, Belagerungen, Kriegen und Qualen. Zu Madre Leonoras sanfter, melodischer Stimme rückten Heere in goldenen und silbernen Rüstungen vor. Feindliche Truppen und wilde Horden flohen verjagt von ihrer wie ein Taubenflügel gegen die Sonne erhobenen Hand. Böse schwarze Männer, ein Haufen Gottloser, die dem guten, durch das Kreuz auferlegten Gesetz unterworfen werden mußten. Das kleine, nach Zuckerwerk duftende Zimmer bevölkerte sich mit Paladinen, Heiligen und gottgeweihten Jungfrauen, denen niemand, mit keiner List und Marter, ihren Glauben entreißen konnte. Die heilige Agate war wunderschön. Wie gut, daß ich nach ihr gefragt hatte. Ihre abgeschnittenen Brüste auf dem Tablett ließen mich sogar noch stärker erschauern als die feinen, zarten Hände von Madre Leonora, wenn sie mich bei einem meiner epileptischen Anfälle streichelte.
    Und diese Anfälle hatte ich oft. Mindestens jeden zweiten oder dritten Tag. Nicht öfter, sonst hätte sie Verdacht schöpfen können. Irgend etwas in ihren Gesten und ihrer Stimme sagte mir, daß sie sich selbst nicht streichelte, und wenn sie mich dabei erwischt hätte, hätte sie mich sicher zur Hölle geschickt. Diese Geschichte von der Hölle und dem Paradies war eigentlich langweilig, aber ab und zu mußte ich sie über mich ergehen lassen, und das dauerte ja auch nie lang, denn schon bald beschwor Madre Leonora mit erhobenem Zeigefinger die heilige Agate. Und herein trat deren hohe weiße Gestalt mit dem blondgewellten Haar, das ihr bis auf den blauen und silbernen Brokatrock fiel. Zwischen dem lockeren, duftigen Haar (eine Art Goldstaub?) konnte man ihre kleinen rosigen Brüste erkennen.
    So trat die heilige Agate zur Tür herein, und dort in der dunklen Ecke des Zimmers rissen ihr vor unseren Augen zwei schwarze, schwarze Männer aus der Hölle mit glühenden Zangen die kleinen Brüste vom Leib und legten sie noch warm und zitternd auf das silberne Tablett … Und an dieser Stelle schaute mir Madre Leonora immer in die Augen und sagte:
    »Hast du Angst bekommen?«
    Ich verstand, was mir ihr Blick, der so blau war wie der Himmel und von vielen kleinen Goldsternen erleuchtet, sagen wollte, und begann zu zittern, aber nur so viel, daß sie mich in den Arm nahm. Dann legte ich den Kopf an ihren vollen und warmen Busen unter dem weißen Gewand. Meine Brüste waren immer noch wie zwei kleine Furunkel, so daß sie zu mir gesagt hatte:
    »Wie dünn und unterernährt du bist, mein armes Kind! Was für ein kümmerlicher Brustkorb! Hoffen wir, daß er sich bald entwickelt, denn die Schwindsucht kommt schnell!«
    Mir gefiel das Wort Schwindsucht ebensowenig wie diese kleinen Furunkel, und ich zitterte bei dem Gedanken, daß mir kein Busen wie der ihre wachsen würde. Zitternd vergrub ich das Gesicht in der duftenden und warmen Wölbung.
    Und während die glühenden Zangen das weiße Gewand zerfetzten und ihr das zarte Fleisch ihres Busens herausrissen, begannen die Schauer der Lust in mir hochzusteigen. Wenn sie mich dann noch fester an sich drückte, weil sie spürte, wie ich zitterte, wurden die Schauer so heftig, daß ich die Lippen zusammenpressen mußte, um nicht zu schreien. Leider habe ich das nie mehr so erlebt, ohne daß ich mich selbst gestreichelt hätte, wie ich es bis zu diesem Augenblick hatte tun müssen.

7
    Die frische, nach Zuckerwerk duftende Luft ließ mich die Flure entlangfliegen, deren Halbdunkel vom Weiß der vielen kleinen, immer verschlossenen Türen nur schwach erhellt wurde. Dahinter lagen sicher viele so winzige Zimmer wie mein eigenes, in die sich dieses Heer von großen weißen Frauen einschloß und aus denen es leise wieder heraustrat, mit vorsichtigen, raschen Schritten, so leicht, daß man eher noch das Rascheln ihrer Gewänder als das Geräusch ihrer Schuhe hörte. Diese Frauen seufzten immer. Vielleicht, weil sie nie sprachen? Oder weil sie sich nicht streichelten und nie einen Mann sahen? Wie lange war es her, daß ich einen Mann gesehen hatte? Es gab zwar den Gärtner, aber mit dem durfte man nicht reden. Manchmal kam noch ein anderer Mann in einem langen Gewand, das dem der Frauen ähnelte, nur daß es schwarz war. Später erfuhr ich, daß es neben dem Heer von Frauen,

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