Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
nie mit Männern!«
»So ist’s recht! Also war es Schwester Angelica, diese Klatschbase? Hör nicht auf sie. Die hat der Eifer am Stickrahmen blind für alles andere gemacht, die sieht nur noch ihre bunten Fädchen … aber lassen wir das. Hier wird nicht gestickt. Los, nun spiel schon: eins, zwei, drei, vier, eins …«
»Und wer leidet hier unter Insomnie?«
»So ein Dickschädel! Eine richtige Schmeißfliege, wenn sie etwas wissen will, diese Picciridda. Etwas Wahres ist schon daran, daß die Schlaflosigkeit eine Strafe Gottes für den ist, der gesündigt hat. Aber manchmal – wenn auch selten – ist sie wie eine Warnung, eine Alarmglocke für Menschen, die so gescheit sind, daß sie ohne die Schlaflosigkeit, die sie zur Vorsicht mahnt, der Sünde des Hochmuts verfallen würden, des … Aber was interessieren mich die Sünden, laß sie dir von Madre Leonora aufzählen. Ich verstehe nur etwas von Noten! Der Klosterarzt sagt, daß alle großen Geister an Schlaflosigkeit leiden und daß sie außerdem vererblich ist. Aber der ist auch ein Ketzer, und man sollte nur auf ihn hören, wenn es um Rizinusöl oder ein paar Pillen geht.«
»Aha, also leidet Madre Leonora an Schlaflosigkeit?«
»Genau, und als diese Krankheit sie befiel – ich glaube, das war zwei oder drei Jahre nachdem sie hierher zu uns gekommen ist, um den Platz von Madre Giovanna einzunehmen, die gestorben war … reden wir nicht darüber, wie, Gott sei ihrer Seele gnädig! –, kam ein Spezialist aus Palermo, der nur in besonderen Fällen geschickt wird und der ihr, nachdem er Madre Leonora immer wiederuntersucht hatte, die Erlaubnis des Bischofs verschaffte, das Fernrohr ihres Vaters ins Kloster bringen zu lassen. Der war nämlich ein großer Astronom. Und sie hat es auf dem Türmchen aufgestellt. In dem Schreiben des Bischofs stand außerdem, daß sie die Sterne so lang beobachten darf, wie sie will, genau wie ihr Vater. Auch das ist eine Familienkrankheit. Man erbt sie mit der Intelligenz, dem Reichtum und der Macht. Du mußt wissen, daß Madre Leonora von einem der ältesten und reichsten Adelsgeschlechter unserer Insel abstammt. Den Namen darf ich dir nicht sagen, denn wie du weißt, haben wir, nachdem wir die Gelübde abgelegt haben, weder Verwandte noch … Das erstaunt dich? Deine Verwunderung zeigt mir, durch wie viele Akte der Demut Madre Leonora diesen Hochmut abgelegt haben muß, der sie sicher einmal erfüllte. Ich habe einmal ihre Mutter gesehen. Welch ein Hochmut! So schön wie Madre Leonora, mit den gleichen Augen, der gleichen Stirn und der gleichen Nase. Und dann auch du, was glaubst du, weshalb du nach der Nacht, in der Tuzzu und sein Vater dich hierhergebracht haben, hierbleiben durftest? Sie behaupten, weil das Kloster in der Nähe lag, aber ich glaube, sie hatten Angst vor der Polizei … Also, was glaubst du, wieso du hierbleiben durftest?«
»Das weiß ich nicht.«
»Nicht zu fassen, sie weiß es nicht! Doch nur dank der Macht von Madre Leonora. Wenn du wüßtest, wie sie darum gekämpft hat, dich hierbehalten zu dürfen und dich nicht in irgendein Waisenhaus voller Wanzen und Hunger schicken zu müssen. Natürlich dürfte ich so etwas gar nicht sagen, denn auch diese Waisenhäuser werden von Schwestern geführt, aber du weißt ja, wie ich bin: Ich nehme nun einmal kein Blatt vor den Mund undnenne die Dinge beim Namen. Der Unterschied ist, daß diese Waisenhäuser von armen Schwestern niederer Herkunft geführt werden. Das sind einfache Frauen, die entweder vom Land kommen oder aus denselben Waisenhäusern für Bettler. Da geht es anders zu als hier bei uns. Auch das dürfte ich nicht sagen, Gott vergebe mir, aber hier ist keine, die nicht mindestens die Tochter eines Barons ist. Selbst wenn man steinreich ist, kommt man ohne Titel nicht hier hinein, das war immer so und wird auch immer so bleiben.«
»Und Ihr, Schwester Teresa, seid die Tochter eines …«
»Barons, genau. Aber du hättest sagen müssen: wart die Tochter, nicht: seid die Tochter. Wiederhole die Frage.«
»Und Ihr, Schwester Teresa, wessen Tochter wart Ihr?«
»Wie ich dir gesagt habe, die eines Barons, aber eines verarmten von nicht sehr altem Adel. Auch deshalb kann ich nie Mutter Oberin werden. Aber was macht das schon? Je weniger Sorgen ich habe, um so mehr Zeit habe ich für die Musik und dafür, sie den Novizinnen und dir beizubringen … Komm schon, lassen wir für heute die Fingerübungen, spiel mir die Clementi-Sonatine vor. Es ist eine
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