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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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aus der Welt verirrte.
    Als Jonas erschien, sah der Advokat auf, faltete die Zeitung geräuschvoll zusammen und setzte sein Lächeln auf wie einen Hut.
    »Jonas!«, sagte er. »Gut geschlafen? Guten Morgen!«
    Jonas nickte bloß und setzte sich schüchtern an den großen Tisch. Am liebsten hätte er gar nichts angefasst, denn weder das glänzend weiße Service mit dem Blumenmuster noch die beiden silbernen Kannen auf ihrem Stövchen sahen aus, als dürfte man sie berühren. Jonas wäre auch lieber hungrig geblieben, als auf die gestärkte Tischdecke zu kleckern.
    Doch Peregrin Aber hatte schon nach einer Brotscheibe gelangt, sie auf Jonas’ riesigen Teller gelegt und reichte ihm die Butterdose. »Iss, mein Junge«, sagte er, als setzte sich Jonas schon seit Jahren jeden Morgen an diesen Tisch. Dann fiel dem Advokaten ein, dass er Jonas wenigstens eine Sorge nehmen könnte. »Die Herrschaften haben schon gefrühstückt. Irmingast und die Baroness.«
    Zaghaft griff Jonas nach dem glänzenden Messer. Es war viel schwerer, als er erwartet hatte.
    »Wegen des Testaments …«, sagte der Advokat, während Jonas sein Brot vorsichtig butterte, und raschelte noch einmal mit der Zeitung. »Du musst keine Angst haben. Du hast das Recht auf deiner Seite. Und mich.« Peregrin Aber lächelte etwas selbstgefällig. »Was so ziemlich dasselbe ist.«
    Aber Jonas merkte, dass sich auch Peregrin Aber nicht wohl in seiner Haut fühlte. Aus der Ungeduld des Advokaten war Unruhe geworden, Peregrin Aber rutschte auf seinem Stuhl hin und her, bis Jonas endlich seine Scheibe Brot heruntergewürgt hatte. Jonas’ Mund war trocken, aber den Tee, den Tabbi ihm eingegossen hatte, rührte er trotzdem nicht an. Seine Hände zitterten und um nichts in der Welt wollte er den Tee verschütten. Vielleicht wäre es ihm besser gegangen, wenn Ruben in der Nähe gewesen wäre, um ihn auch vor Teetassen und Tischdecken zu beschützen, aber der stumme Diener war weit und breit nicht zu sehen. Sogar Tabbi war mittlerweile verschwunden.
    Jonas verschränkte seine Hände, damit sie Ruhe gaben.
    Wenig später stolperte er Peregrin Abers flatternden Rockschößen hinterher. Die Knöpfstiefel des Advokaten klapperten über den Steinfußboden, seine kleine Ledermappe trug er wie ein Banner. Jonas musste immer wieder einen Laufschritt einlegen, um nicht den Anschluss zu verlieren.
    Wieder ging es durch die Eingangshalle, diesmal allerdings nicht die Treppe hinauf, sondern durch eine schwere Tür in einen anderen Flügel des Herrenhauses. Hier im Korridor war es etwas wärmer, so, als würden die Zimmer hinter den Türen zu Jonas’ Rechter beheizt. Vor einer Tür mit gleich zwei Flügeln blieb Peregrin Aber stehen, hob die Hand, um anzuklopfen, und entschied sich dann dagegen. Lieber drückte er die große Klinke hinunter und ließ Jonas ein.
    Drinnen roch es nach Papier, trocken und staubig. Jonas hatte noch nie eine Bibliothek gesehen. Er legte den Kopf in den Nacken. Die Regale reichten bis zur Decke. Die Bücher darin schlossen ihre Reihen und drehten ihm ihre ledernen Rücken zu, als wären sie sich selbst genug. Jonas musste an die Bibel denken, die Elsa besaß, aber nicht lesen konnte. Doch in der Finsternis zwischen den Seiten geschah, was geschah, auch so.
    Peregrin Aber schloss die Tür und klapperte über das Parkett zu einem Tisch aus schwarzem Holz inmitten der Regale. Jeder Stuhl an diesem Tisch sah aus wie ein Thron. Hohe Lehnen voller Schnitzwerk, die Polster aus festem, glänzendem Leder. An der Wand neben der Tür tickte eine riesige Uhr. Das Ticken war jetzt das einzige Geräusch im Raum, und je länger Peregrin Aber schwieg, desto bedrohlicher wurde es.
    Es war, als würde Jonas ausgezählt.
    »Setz dich«, sagte Peregrin Aber dann auch noch, und hinter der dicken Tischplatte kam Jonas sich endgültig vor, als würde gleich ein Urteil über ihn gesprochen. Vielleicht war Wunderlich ein Gefängnis, dachte er, aber noch bevor dieser Gedanke sich zur ganzen Größe seines Schreckens entfalten konnte, flog die Tür auf und wie ein aufgebrachter Fasan rauschte Baronin Alma Fink zu Wunderlich in die Bibliothek. Plötzlich war alles ein Flattern und Bauschen aus Seide, Taft und Rosshaar. Alma war eine plumpe, schwere Frau in einem schwarzen Krinolinenrock von den Ausmaßen einer Kirchenglocke. Das eisgraue Haar trug sie in der Mitte gescheitelt und über den großen Ohren zu fetten Schnecken gedreht. Ihre feisten Wangen waren erhitzt, ihr Doppelkinn

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