Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
»Wollen wir nicht reingehen?« Die Wangen des Marquis zierte je ein kreisrunder Fleck roter Schminke. Zwischen seiner Adlernase und den eigentümlich roten Lippen prangte ein dicker, schwarzer, erkennbar aufgemalter Schönheitsfleck.
»Herzilein«, sagte Lunette und seine Hand wanderte schon wieder. Diesmal fasste er die Nase des Hermes neckisch zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ich rufe, wenn ich dich brauche. Ja?«
Der Hermes verbeugte sich tiefer denn je.
»Leg dich schlafen, Süßer!« Lunette sah dem Trabanten nach, wie er eilfertig über den Korridor verschwand. »Wisst ihr, Jungs«, murmelte er und legte die schmalen Finger an sein hageres Kinn, »ich finde, er gewinnt an Ausdruck. Je mehr man sich mit ihnen beschäftigt, desto mehr Regungen zeigen sie. Ich hasse es, wenn sie so teilnahmslos in der Ecke stehen. Es macht mich richtig traurig. Dich nicht auch, Ole?«
Aber Ole war schon durch die Tür, ganz so, als sei er in den Räumen des Marquis zu Hause.
Der Marquis bewohnte zwei Zimmer im Schloss. Im ersten, durch das sie eintraten, standen ein schwerer, mit Papieren überladener Schreibtisch und eine Ottomane wie die, auf der Leopold am Nachmittag auf der Terrasse gelegen hatte.
Lunette hatte Jonas einen Arm um die Schultern gelegt und sie durchmaßen den Raum wie alte Freunde. Es kam Jonas komisch vor, aber es war ihm nicht unangenehm.
Das zweite Zimmer wirkte um einiges gemütlicher, hinter dem Kamingitter leuchtete die Glut. In einer Ecke des Raums stand ein Bett, über das eine weinrote, mit Goldbrokat verzierte Tagesdecke gebreitet war. Gleich unterhalb eines Fensters fand sich ein kleiner, von zwei gepolsterten Stühlen umstellter Tisch mit einem Schachspiel. Auf dem Brett bedrängten die schwarzen Figuren die weißen. Es sah ganz so aus, als hätten sie den Marquis bei einer Partie gegen sich selbst unterbrochen.
Ole lehnte am Fenster über Eck und sah hinaus, ohne dem eigentümlichen Gerät neben sich Beachtung zu schenken. Es war ein wirklich seltsames Ding, und obwohl Jonas nicht wusste, wozu es diente, kam es ihm bekannt vor.
Hatte er so etwas schon einmal gesehen?
Das Gerät war lang und rund, insgesamt eher schmal, verbreiterte sich aber von vorne nach hinten und stand auf drei dünnen Beinen aus Metall, die man wahrscheinlich zusammenklappen konnte. Sein Äußeres war mit Leder bezogen, sein Inneres blieb Jonas ein Rätsel.
»Es ist ein Teleskop, Jonas«, sagte Lunette. »Ein Fernrohr. Es holt, was fern ist, ganz nah heran.«
Jonas war es peinlich, dass der Marquis seine Neugier bemerkt hatte.
»Du musst wissen, ich bin der Sterngucker seiner Majestät.« Lunette schmunzelte. »Sein …«, er grinste beinahe unverschämt, »… Astrologe . Glaubst du an Horoskope, mein Junge? Wann bist du geboren?«
Jonas zuckte. Da war sie wieder, die Frage, auf die er lügen musste. »Im Herbst«, murmelte er.
»Weißt du es nicht genauer?« Die Frage des Marquis hatte nichts Bohrendes, eher machte sie deutlich, dass Lunette bereit war, darüber hinwegzugehen.
Jonas schüttelte den Kopf.
»Vielleicht bist du ein Schütze«, sagte Lunette im Plauderton. »Oder ein Skorpion .« Er riss spaßeshalber die Augen auf, so, als fürchtete er sich. »Ach, weißt du, ich bin ohnehin kein richtiger Sterndeuter. Mit dem Fernrohr da schaue ich in die Welt, nicht in den Himmel. Und richtige Horoskope sind hier auch gar nicht erwünscht. Hast du Leopold eigentlich schon kennengelernt? Den Erbprinzen?«
Jonas wusste nicht, was er antworten sollte. Kennengelernt war das falsche Wort. Er schwieg verlegen.
Aber auch darüber ging der Marquis hinweg. »Leopold würde toben, wenn die Sterne es mal nicht gut mit ihm meinten. Oder er würde sich in einen seiner prächtigen Winkel zurückziehen und schmollen. Und die Kaiserin … Ach! Die Kaiserin.« Er fuhr sich über die Perücke und sah Jonas an, als würde der schon verstehen. »Sag mal, Junge, das ist ja ganz etwas Besonderes.«
Jonas blieb nicht einmal genug Zeit, zurückzuweichen. Schon lag die Hand des Marquis auf seinem Gesicht, der weiche Daumen knapp unter Jonas’ hellblauem Auge. »Sie sind verschiedenfarbig. So etwas habe ich noch nie gesehen! Du musst ein ganz besonderer Junge sein.«
»Ich habe ihn im Wald gefunden«, murmelte Ole Mond. Es klang, als wäre Jonas ein Gegenstand.
»So?« Lunette zog seine Hand zurück. Immer noch neugierig sah er Jonas an. »Was ich sagen wollte – ich habe mir ein anderes System ausgedacht. Für die Sterne,
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