Die unwillige Braut (German Edition)
sein Essen arbeiten müssen, ebenso wie Ketti.
Mehrmals sagte sie sich, dass ihr Gewissen rein war, dass es ganz und gar Warins Schuld war und nicht ihre, dass alles durch das Verschwinden ihres Vaters gekommen war. Jetzt musste sie sich um ihre eigene Zukunft kümmern. Dennoch, in der Zeit zwischen der Arbeit und dem Schlaf war es nicht die Zukunft, an die sie dachte, sondern die Vergangenheit, an eine kleine Ecke im Obstgarten hinter ihrer Kemenate, wo noch immer Äpfel an den knorrigen Zweigen hingen, wo bräunliches Mädesüß Staub über einen kleinen, sorgfältig gepflegten Grasflecken rieseln ließ. Ein schwerer quaderförmiger Stein von der nahen römischen Mauer markierte den Punkt, vor dem Rhoese in der Nachtluft kniete, die Finger auf den Stein gelegt, als wollte sie etwas darunter berühren. So versunken war sie in ihre schmerzlichen Erinnerungen, den Abschied, das stumme Flehen, dass dieser Ort ungestört bleiben möge, dass sie die hohe Gestalt nicht bemerkte, die sie vom anderen Ende des Hofes her, an die Wand der Kemenate gelehnt, beobachtete.
Endlich erhob sie sich und wandte sich ab, um den Weg durch die Dunkelheit zurück zu nehmen, blind von Tränen, und es war nicht überraschend, dass sie stolperte und von zwei starken Armen aufgefangen wurde, gegen die sie sich wehrte, zuerst voller Angst, dann voller Empörung. Seine tiefe, ruhige Stimme trug nichts dazu bei, ihren Zorn über sein Eindringen in diesen persönlichsten aller Bereiche zu mildern, und sie wehrte sich gegen ihn mit der blinden Wut einer verlassenen Mutter, die sich davor fürchtet, dass eine ihr heilige Erinnerung entweiht werden könnte. Sie fühlte sich leer und ausgebrannt, konnte ihm nicht erklären, warum sie so zornig war, daher nutzte sie ihren Körper wie eine Waffe gegen ihn, ohne nachzudenken, rücksichtslos und hoffnungslos unterlegen gegenüber seiner Kraft und Erfahrung. Es dauerte nicht lange, bis er sie festhielt, obwohl sie sich wehrte und weinte über den Verlust von allem, was ihre Welt ausgemacht hatte, eine dunkle Welt, die plötzlich auf den Kopf gestellt wurde, als er sie hochhob und in ihre warme Kemenate trug, während sie ihr Gesicht in dem weichen Leinen seiner Tunika barg und schluchzte.
In einer Ecke brannte eine Lampe mit vier Dochten. Ihr Schein fiel in eine unordentliche Kammer, wo an den Wänden Kisten und Körbe aufgetürmt waren, ihr Bett nur mehr ein Stapel von Brettern und Pfosten, die man zusammengeschnürt hatte. Nur ihre Matratze und die Laken waren noch auf dem Boden, und darauf legte Jude sie ab und hielt sie fest in den Armen, bis ihr Schluchzen verebbt war.
Sie leistete keinen Widerstand, hatte es sie doch während des vergangenen Jahres nach solcher Zärtlichkeit gehungert, während sie sich sagte, dass sie ihr Leben auf ewig auch ohne das verbringen könnte. Müde und erschöpft, wie sie war, schlief sie wie ein Kind in ihren Kleidern ein, ohne dass auch nur ein Wort gesprochen worden war. Und als sie erwachte, hielt er sie noch immer in den Armen, und die Lampe brannte immer noch.
"Ist es schon Tag?" flüsterte sie.
Er hob die Hand, um ihr das Haar aus ihrem Gesicht zu streichen. "Nein. Schlaft weiter. Ich wecke Euch, wenn es Zeit ist zum Aufbruch."
"Nach London?"
"Nein, wir gehen nicht nach London."
Sie öffnete die Augen wieder. "Nicht nach London? Wohin dann?"
"Nach Durham. In nördlicher Richtung. Das ist nicht wirklich so weit."
Es fiel ihr nicht leicht, sich ohne Hilfe hinzusetzen, doch es gelang ihr, sich auf einen Ellenbogen zu stützen und sein Gesicht neben ihr anzusehen, das von der Lampe erhellt wurde. Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete er sie, weder amüsiert noch mit erkennbarem Verlangen. "Meint Ihr das ernst?" fragte sie. "Wir gehen nach Durham?"
"Vollkommen ernst. Flambard hat es mir erst heute Abend gesagt." Mit den Fingern berührte er ihr Haar, das sich in verschwenderischer Fülle über seine Brust ergoss, während er den Blick über ihr noch vom Weinen verschwollenes Gesicht wandern ließ. "Ich erkläre Euch den Grund dafür morgen. Das betrifft Euch nicht. Schlaft weiter."
Sie verstand ihn nicht. Sie waren miteinander allein, doch er hatte keine Anstalten gemacht, die Ehe zu vollziehen, was dem Gesetz nach gleich hätte geschehen müssen. Begehrte er sie wirklich nicht? Unfähig, der Versuchung zu widerstehen, sagte sie: "Hilda glaubt, wir hätten …"
Sehr langsam wandte er ihr den Blick zu. "Davon bin ich überzeugt. Und es kümmert Euch,
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