Die Unzertrennlichen
hinaus in die Schwärze. »Hier braucht man keine Vorhänge«, sagte sie. »Und wie still es ist.«
Ich erinnerte mich daran, wie mein Vater mitten in der Nacht stockbetrunken seinen CD -Player auf volle Lautstärke gedreht hatte, an sein heiseres Grölen zur Musik von Colosseum, Led Zeppelin, Cream, Deep Purple, Black Sabbath und wie seine Erlöser alle geheißen hatten. Wie er irgendwann halb bewusstlos auf dem Fußboden liegen geblieben war. Das alles kannte ich aus den Jahren, in denen ich mit ihm zusammengewohnt hatte, in einem Haus, das nie fertig geworden war. I was her love / She was my queen / And now a thousand years between. Olinda, die Königin. Es war immer schlimmer geworden mit ihm. Ich stellte ihn mir vor in dieser Mühle, allein, alkoholsüchtig, halb verrückt. Hush, hush / I thought I heard her calling my name now / Hush, hush / She broke my heart but I love her just the same now.
»Unheimlich«, sagte Emma und kam zu mir ins Bett. »Aber romantisch. Hat was, die Mühle. Wenn man von deinem seltsamen Nachbarn absieht. Igor, meine ich. Aber wohnen könnte ich hier nicht. Viel zu einsam, und so dunkel. Ist dir nicht kalt?«
Sie schlang die Arme um mich und zog mich an sich. Ich drückte meine Nase in die Vertiefung zwischen ihren weichen, schweren Brüsten und atmete tief ein. Ein wunderbarer Ort, diese Mulde. Ich liebte Emmas Geruch.
»Morgen würde ich gern einen alten Freund besuchen, der sich hier in der Gegend niedergelassen hat«, sagte ich. »Kommst du mit?«
»Warum nicht?«
Der Sonntag war ebenso blank und sonnig wie der Tag davor. Als wir aus dem Wald traten, kniff ich unwillkürlich die Augen zusammen, so hell war das Vormittagslicht. Ein kleines Mädchen in einem karierten Kleid stand gebückt in einer Wiese und streichelte versunken eine weiße Katze mit schwarzen Flecken. Ein Lastwagen, der Holz geladen hatte, fuhr an uns vorüber, die beiden Männer, die darin saßen, lachten uns zu. Ihre Gesichter waren dunkel, und einer hatte nur noch wenige obere Schneidezähne.
»Wir haben Chancen«, sagte Emma und kicherte wie ein Mädchen. »Also, wer nimmt den Satansjünger mit den Reinkarnationsschwierigkeiten im Graben und wer den zahnlosen Herrn hier? Knobeln wir?«
Wir kehrten zu meinem Wagen zurück, der vor dem Hof der Großeltern stand, und fuhren los, ohne das Haus zu betreten. Vor uns am Straßenrand gingen schweigend ein älterer Mann und ein kleiner Bub, die gemeinsam einen grünen Eimer trugen. Eine Frau in ländlicher Sonntagstracht mit einem schwarzen Kopftuch und einer großen, blitzblauen Sonnenbrille kam uns auf einem roten Moped entgegen. Emma schaute aus dem Fenster.
»Was um Himmels willen ist das für ein Bauwerk?«, fragte sie und deutete auf ein großes, verwahrlost wirkendes und kompliziert konstruiertes Gebäude neben der Straße. Es hatte ein rotes Dach, mehrere Türmchen, Balkons und Terrassen sowie von Säulen getragene Arkadengänge im Erdgeschoß und wirkte in dieser Umgebung grotesk. Die Mauern waren nicht verputzt, die Ziegel grau. »Da hat sich jemand nach einem Urlaub in Mallorca seinen Traum von einer Finca erfüllt.« Sie lachte.
Ich fuhr an den Straßenrand und schaltete den Motor aus. Ein hohes Tor aus verschnörkeltem Schmiedeeisen bot Zugang zu dem eher kleinen Grundstück. Es gab keinen Zaun, der es umschloss, nur das Tor. Um das Haus herum stand vertrocknet das hohe Gras. Ein paar verdorrte Agaven säumten das lange Schwimmbecken an der Seite des Hauses, das statt mit Wasser mit toten Blättern gefüllt war. Zwischen zwei gedrechselten Steinsäulen hing eine verblichene, zerfetzte Hängematte.
»Weshalb bleibst du stehen?«, fragte Emma. »Und warum sagst du nichts?«
»Das, meine Liebe, ist keine Finca, es ist eine Estancia, in Brasilien Fazenda genannt«, erklärte ich. »Es ist das Haus, das meine Mutter sich gewünscht hat und das mein Vater mit dem Geld seiner Eltern für sie erbauen ließ. Sie kehrte zurück nach Pernambuco, bevor es fertig war. Und dann ging meinen Großeltern das Geld aus.«
»Was?«
»Meine Mutter war eine anspruchsvolle junge Frau aus einer gutsituierten Familie, und mein Vater wollte ihr imponieren und um jeden Preis ein standesgemäßes Zuhause bieten, eines, in dem sie sich wohlfühlen und um das sie von allen anderen Frauen im Dorf beneidet werden sollte, ein Haus, geräumig genug für ein glückliches Paar mit vielen Kindern. So war es geplant. Aber so kam es nicht. In diesem Haus bin ich aufgewachsen, als
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