Die Unzertrennlichen
Einzelkind, hier habe ich jahrelang allein mit meinem Vater gewohnt.«
»Ist ja sagenhaft. Langsam begreife ich, weshalb du schon so lange bei dieser Therapeutin für katathymes Bilderleben bist«, sagte Emma. »Erzähl weiter.«
Ich erzählte weiter. Während wir über die Weinhügel fuhren, zu Stefan.
Nach der Hochzeit stellten meine Eltern ihr Glück zur Schau, die sicherste Methode, binnen kürzester Zeit den Neid aller auf sich zu ziehen. Doch das wussten sie nicht, jung und naiv, wie sie waren. In ihren weiten, bunten Hippiegewändern spazierten sie Hand in Hand durchs Dorf und blieben alle paar Meter stehen, um sich zu küssen. Zunächst bewohnten sie zwei Zimmer im Haus meiner Großeltern. Das ging nicht lange gut.
»Der kleinste Handgriff war dem verzogenen Ding zu viel«, sagte meine Großmutter zu mir. »Dein Großvater und ich, wir hätten uns natürlich eine aus dem Dorf als Schwiegertochter gewünscht. Aber nein, eine Brasilianerin muss es sein, eine Dahergelaufene mit langen Fingernägeln, die vom Weinbau keine Ahnung hat! Jeder Nagel war in einer anderen Farbe lackiert, das musst du dir vorstellen. Ein verspieltes Ding ohne Ernst und Verstand, deine Mutter, du bist ihr nicht unähnlich. Und dein Vater fällt darauf herein. Nie hat er sich benommen wie ein normaler Mensch, immer musste er alles anders machen als die Leute hier. Na ja, wohin das führt, hat sich gezeigt, man spottet nicht ungestraft über seine Heimat.«
»Deine Großmutter und Olinda haben sich auf den ersten Blick gehasst«, erzählte mir meine Tante Beate. »Eine Herrschsüchtige erkennt die andere, und zwei Herrschsüchtige unter einem Dach, das geht nicht gut. Olinda hat sich ihrer Schwiegermutter nie untergeordnet, es gab ständig Streit. Schließlich hat sie Caspar vor die Wahl gestellt: Entweder wir ziehen aus, oder ich gehe zurück nach Brasilien, hat sie gesagt, ich weiß es noch genau, ich war dabei. Na ja, und dann haben sie dieses Haus gebaut, aber damit wurde nichts besser, im Gegenteil, es war der Anfang vom Ende.«
»Eine einzige Katastrophe, der Hausbau«, sagte meine Großmutter. »Aber wenn Olinda sich etwas in den Kopf setzte, konnte niemand sie davon abbringen, auch nicht Caspar. Ihre ausgefallenen Wünsche trieben deinen Großvater und mich an den Rand des finanziellen Ruins. Es waren bittere Zeiten. Nichts war ihr recht. Unsere soliden steirischen Dachziegel waren ihr nicht gut genug, sie versteifte sich auf brasilianische. Im letzten Augenblick konnte dein Vater sie zu spanischen überreden, ich weiß noch, sie wurden von einem Betrieb mit Sitz in den Pyrenäen geliefert. Engobiert, ich erinnere mich, deine Mutter wollte engobierte Ziegel und nicht glasierte. Rot geflammt, mit zweifacher Wölbung. Die beiden Musterziegel im Farbton Encarnado trafen zerbrochen aus den Pyrenäen ein, kein Wunder bei dem langen Weg. Unsere braven südsteirischen Dachdecker hatten größte Mühe mit der Dachdeckungstechnik, die im Mittelmeerraum üblich ist. Mönch und Nonne, so heißt diese Bauweise. Keiner der hiesigen Handwerker hatte je etwas davon gehört. Oben der Mönch, unten die Nonne. Und das war längst nicht alles. Für die Terrasse wollte Olinda blauen Quarzit aus ihrer Heimat, gab sich aber schließlich mit italienischem zufrieden. Die graugrünen Platten der Marke Gran Paradiso, bruchrauh mit naturbelassenen Kanten, kosteten deinen Großvater und mich ein Vermögen. Ein Betrieb aus der Nähe von Turin, die reinsten Halsabschneider, diese Welschen. Und das sind nur zwei Beispiele, Sissi, zwei von vielen. Ein Desaster, der Hausbau.«
Meine Mutter fand im Sausal keine Freunde. Sie hatte Heimweh. Das steirische Essen schmeckte ihr nicht, sie aß immer weniger und wurde noch dünner, als sie ohnehin schon war.
»Olinda war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Und dann, als deine Großmutter schon mit einem siegessicheren Zug um den Mund durchs Dorf ging, weil die Staribacherin, die damals im Reisebüro in Leibnitz arbeitete, ihr zugeflüstert hatte, ihre Schwiegertochter habe einen Flug nach Recife gebucht –«, sagte Tante Beate und legte eine Pause ein, »– ja, dann wurde deine Mutter schwanger.«
»Endlich«, seufzte Emma und schloss die Augen. »Und weiter?«
Ich erinnere mich. Ich erinnere mich an die erste, die früheste Zeit. Daran, dass ich herumgetragen wurde, an eine schaukelnde Bewegung, einen weichen Stoff, der mich einhüllte, an ein helles Orange, einen festen Bauch, eine warme Brust, an einen
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