Die Unzertrennlichen
Duft, von dem ich heute denke, dass es ein Geruch nach Fisch und Zitronen war, an eine hohe Stimme, die manchmal leise auf mich einsprach, manchmal sang und manchmal klagte. Ich mochte es nicht, wenn ich weggelegt wurde, denn dann veränderte sich alles. Es wurde kalt, alles um mich herum war weiß, und es roch unangenehm nach etwas, das wohl Farbe und Lack gewesen war.
»Schon im ersten Schwangerschaftsmonat stolzierte deine Mutter triumphierend, mit herausgestrecktem Bauch durchs Dorf«, erzählte meine Großmutter. »Aber Gott straft die Überheblichen, wir wissen es alle«, fuhr sie mit einem boshaften Lächeln fort und legte den Kopf schief. »Deine Mutter wurde hässlich, Sissi, das muss gesagt werden. Praktisch über Nacht.« Ihr Lächeln vertiefte sich. »Und sie gewann ihre Schönheit auch nach der Geburt nicht zurück. Ihre Haut wurde fleckig, das Gesicht aufgedunsen, die Haare fielen ihr aus, und sie verlor einen oberen Schneidezahn. Sie, die kaum etwas zu sich genommen hatte, aß jetzt Unmengen von schwarzen Bohnen und nahm rasch sehr viel zu, was unseren Doktor Wohlmuth, der vierzig Jahre lang praktischer Arzt in Kitzeck war, zunächst zu der Prophezeiung veranlasste, es handle sich um Zwillinge.« Das Lächeln verschwand, sie sah mich missbilligend an. »Zum Glück hat er sich geirrt, eine halbe Ausländerin in der Familie ist genug. Und dann der Kaiserschnitt! Olinda hätte dem Arzt in Leibnitz, der die Wunde nähte, am liebsten das Gesicht zerkratzt, doch es war zu spät. Er hat tatsächlich schlampig gearbeitet, das muss gesagt werden, die Narbe war lang und breit und blutrot – aber deine Mutter war hoffärtig, und der Allmächtige, dem alles Dünkelhafte ein Dorn im Auge ist, hat an ihr ein Exempel statuiert.«
Meine Großmutter schüttelte den Kopf und schwieg eine Weile.
»Ach, Sissi«, seufzte sie dann, »sei froh, dass deine Mutter dorthin zurückgekehrt ist, wo sie hingehört. Das dumme Ding hatte nicht die geringste Ahnung von Kindererziehung. Dieses grellorange Tuch, das sie sich aus ihrer Heimat kommen ließ und in dem sie dich trug! Ich war krank vor Sorge, sie könnte dich damit ersticken. Oder zumindest deine Wirbelsäule ruinieren. Und wie sich herausgestellt hat, war meine Befürchtung nicht grundlos.« Wieder bedachte sie mich mit einem abfälligen Blick. »Sieh dir deine Haltung an, wie eine Trauerweide stehst du da. Das ist das Ergebnis. Ich weiß noch, unser Herr Doktor Wohlmuth hat entsetzt den Kopf geschüttelt, als er deine Mutter so mit dir im Dorf herumgehen sah. Das arme Kind, hat er gesagt, ohne Bandscheibenschaden kommt dieses Kind nicht davon, eine Skoliose ist vorprogrammiert.«
»Olinda hat sich fast nur von einem unappetitlichen Eintopf aus schwarzen Bohnen ernährt«, verriet mir Tante Dagmar. »Und dich auch. Unsere Käferbohnen waren ihr nicht gut genug. Es war das einzige Gericht, das sie zubereiten konnte. Abgesehen von Stockfisch. In der halbfertigen Küche der halbfertigen Villa Olinda, dieser Ausgeburt ihres Größenwahns, standen ständig Bottiche mit Stockfisch herum. Olinda wässerte den getrockneten Fisch tagelang, aber wenn man ihn aß, war er noch immer fürchterlich salzig. Beides ließ sie sich aus Pernambuco kommen. Ihre Eltern müssen Unsummen für das Porto ausgegeben haben. Kein Wunder jedenfalls, dass Caspar irgendwann beschloss, sich wieder von seiner Mutter verköstigen zu lassen.«
»Was soll ich dir sagen«, seufzte meine Großmutter. »Binnen kürzester Zeit war dein Vater ein Skelett. Er kam zu mir zurück, wie zu erwarten war. Ich musste ihn aufpäppeln wie einen Schwerkranken. Gottlob hat er sich allmählich erholt, unser goldgelber steirischer Kürbis, der nahrhafte Heidensterz und das gesunde Kernöl haben Wunder gewirkt. Deine Mutter hat es nicht verkraftet, sie wurde durch seine Weigerung, ihre Bohnen und den stinkenden Fisch zu essen, noch verrückter, als sie es schon war. Ich sehe sie vor mir, wie sie, dich auf den Rücken gebunden, im leeren Haus von einem Zimmer ins andere läuft, mit wirrem Haar und verstörtem Blick. Als wäre es gestern gewesen. Sie murmelte, lachte, sang, weinte, kein Mensch verstand sie. Und eines Tages war sie weg. Du warst fünf Monate und zwei Wochen alt.«
Emma sah mich mitfühlend an und fuhr mir übers Haar.
»Ein hilfloser Säugling«, hauchte sie, »von der Mutter im Stich gelassen. Was für eine traurige Geschichte.«
Es war nicht schwer, Stefans Haus zu finden. Als ich mir an einer
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