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Die Unzertrennlichen

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Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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Weggabelung nicht sicher war, welche Richtung ich einschlagen sollte, sprach ich eine große, grauhaarige Frau in einem blau-weiß geblümten, kurzärmeligen Kleid an, die in schmutzigen weißen Nike-Laufschuhen ohne Socken vor einem Bildstock stand und rosa Astern in einer zitronengelben Plastikvase anordnete.
    »Zum Herrn Doktor König wollen Sie?«, sagte die Frau und hob einen dünnen, einem gerupften Hühnerflügel nicht unähnlichen Arm. »Sehen Sie das Haus auf dem Hügel? Dort wohnt er. Wenn Sie hier nach links fahren, können Sie es nicht verfehlen, die Straße führt direkt daran vorbei.« Sie bückte sich und sah Emma und mich durch das offene Autofenster hindurch scharf an. Ihre Augen waren hellblau. »Der arme Herr Doktor König«, sagte sie dann, »er bekommt nicht oft Besuch in letzter Zeit. Ganz allein wohnt er in dem schönen Haus, seitdem seine Frau –« Sie richtete sich wieder auf und blickte zum Hügel hoch, auf dessen Kuppe das Haus lag. »Ein bewundernswerter Mensch, unser Herr Doktor König. Tut alles für seine kranken Kinder. Unermüdlich. Er hat es nicht verdient. Seine Frau und er, sie waren ein so sympathisches Paar. Und er hat sie dermaßen –«
    »Vielen Dank. Auf Wiedersehen«, unterbrach ich sie.
    Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
    »Er hat sie so geliebt«, sagte sie. »Abgöttisch.«
    Wir fuhren auf einer Staubstraße weiter.
    »Abgöttisch!«, rief sie uns nach.
    »Was ist mit seiner Frau passiert?«, fragte Emma.
    »Sie ist gestorben. Vor zwei Jahren.«
    »Ist ja schlimm. Woran denn?«
    Ich gab keine Antwort. Emma schaute mich von der Seite an.
    »Du willst nicht darüber reden«, sagte sie und verschränkte die Arme über der Brust. »Auch gut.«
    »Wenn das Wetter so bleibt, kann ich in zwei Wochen ernten«, sagte Stefan, schnitt zwei schwere gelbe Trauben mit einer großen spitzen Schere ab, reichte mir eine und Emma die zweite. Ich aß ein paar der fast durchsichtigen Beeren.
    »Nicht schlecht«, sagte ich. »Sehr süß.«
    Emma steckte eine Beere in den Mund, verzog das Gesicht und schwieg.
    »Nicht wahr?«, sagte Stefan. »Der Weinberg ist ideal gelegen. Südhang, vierzig Prozent Neigung. Aber das Ernten ist anstrengend bei dem steilen Terrain.«
    »Ach«, sagte ich, »der Weingarten ist doch nicht groß.«
    Stefan sah mich an.
    »Du kannst mir ja helfen, wenn du möchtest.«
    Wir spazierten weiter durch die Rebzeilen. Emma und Stefan hatten seit unserer Ankunft kaum ein Wort miteinander gewechselt.
    »Ich liebe meine Rebstöcke. Dabei waren wir anfangs überhaupt nicht daran interessiert, Regina und ich. Aber wenn wir das Haus wollten, mussten wir den Weingarten mit in Kauf nehmen, der frühere Besitzer bestand darauf.«
    Regina und ich.
    »Es ist viel Arbeit, vor allem der Schnitt. Man muss die jungen Triebe regelmäßig anbinden, sonst werden die Stämme krumm. Überflüssige Sprossen müssen entfernt werden, die verholzten zurückgeschnitten, die ohne Blüten ausgebrochen. Und dann das Lockern des Bodens, das Düngen, das Jäten. Ich bin ständig beschäftigt.«
    Er blieb stehen, hielt die Hand über die Augen und schaute in die Richtung, wo das Blaugrau der Hügel und der hellgraue Horizont ineinanderflossen.
    »Ich glaube, da kommt ein Regen«, sagte er und blickte zum Haus zurück. Der Weinberg war nicht Teil des Grundstücks, auf dem das Bauernhaus stand, sondern etwa fünf Minuten Fußweges davon entfernt. Ich sah Stefans kurze Bartstoppeln, den kleinen Ansatz des Doppelkinns, das vertraute Profil mit der langen, geraden Nasenlinie, und plötzlich fiel mir der Abend ein, an dem wir ihn in diesem verrauchten und lauten Studentenlokal kennengelernt hatten. Regina und ich. Dass er um vier Uhr früh ziemlich betrunken mit ihr und nicht mit mir nach Hause gegangen war, war klar. Ich war das Mauerblümchen. Regina bezauberte jeden.
    »Gehen wir zurück?«, fragte Stefan.
    »Mein Riesling vom vorigen Jahr«, sagte er etwas später und hob ein tulpenförmiges Weinglas gegen das Licht. »Eine schöne Farbe, ganz hell, mit einem Stich ins Grünliche. Der Wein ist noch jung, später wird er goldgelb.«
    Wir saßen auf einer hölzernen Eckbank an einem großen quadratischen Tisch im geräumigsten Zimmer des kleinen, niedrigen Gebäudes. Auf der Tischplatte lag die gestreifte Decke, die ich vor Jahren aus Marokko mitgebracht hatte. Die Fenster standen offen, man hörte das gleichförmige Geräusch des Regens, der seit einer Viertelstunde niederging. Es duftete frisch

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