Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas
ging auf das Spiel ein. »Nun denn, dann lasst uns dieses Kind hier genauer betrachten.« Ein beinahe liebevolles Lächeln umspielte die schmalen Lippen, als Mylady Eleonore Manderley die kleine Mara aus dem Wagen hob und in die Arme nahm.
Emily hatte schreckliche Angst vor der alten Frau.
Ihre Hände zitterten, denn der Gedanke, der sich ihr aufgedrängt hatte, stand ihr, so befürchtete sie bangen Herzens, mitten ins Gesicht geschrieben: Mylady Manderley ist meine Großmutter. Und sie weiß, wer ich bin. Emily konnte an ihr Gesichtszüge erkennen, die ihr nicht fremd waren. Dies ist deine Familie, schrie es ihr aus all den Porträts an den Wänden entgegen.
»Wir danken Ihnen, Master Wittgenstein, für Ihre Hilfe in dieser Angelegenheit.«
Emily stutzte.
Das sollte es gewesen sein?
Mylady Manderley machte keinerlei Anstalten, sich weiter mit ihren Besuchern unterhalten zu wollen. Sie kehrte ihnen den Rücken und schritt majestätisch, das Enkelkind in den Armen haltend, die gewundene Treppe empor, geradewegs in die Schatten hinein, die nach ihr zu greifen schienen.
Emily verabschiedete sich von ihrer Schwester, indem sie ihr ein Versprechen gab.
Mara, die wehmütig über die Schulter ihrer Großmutter blickte, lächelte nun. Noch immer kam kein Wort über ihre Lippen.
Ein letztes Mal drehte sich Mylady Manderley um, die all das registriert hatte und widerwillig billigte. Verabschiedete uns mit einem kühlen Blick.
Augenblicke später fanden wir uns erneut im Schneegestöber wieder.
Elfen verlieren niemals viele Worte.
Maurice Micklewhite bildet da die Ausnahme.
Wir verließen den Regent’s Park, und als ich in Erfahrung bringen wollte, was Emily ihrer Schwester in Gedanken zugeflüstert hatte, da lächelte sie nur, verletzt und vielsagend, und antwortete traurig: »Fragen Sie nicht!«
Dabei ließ ich es bewenden.
Kapitel 15
Neuigkeiten allerorts
Maurice Micklewhite, der gesprächigste Elf, den ich kannte, erwartete uns in der Nationalbibliothek, die an diesem Nachmittag für den Publikumsverkehr geschlossen worden war. Im Zuge der nahenden Feiertage sollten Reinigungsarbeiten durchgeführt werden. Unnötig zu erwähnen, dass weit und breit keine Putzfrau zu sehen war.
»Es gibt Neuigkeiten«, begrüßte uns Maurice Micklewhite.
Wie ich sah, hatten sich auch Mylady Hampstead und Miss Fitzrovia unter der Kuppel des Lesesaals eingefunden.
Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren
, piepste die Rättin.
Wir streiften die vom Schnee nassen Mäntel und Jacken ab und nahmen an einem der Lesetische Platz. Dinsdale begrüßte uns glühend, und Maurice Micklewhite bot uns frischen Tee an.
Dann kam er direkt zur Sache.
»Lycidas, das wissen wir nun, raubt Kinder aus allen Teilen Londons, um mit ihrer Hilfe Pairidaezas Stock zu nähren. Diese Verbrechen ziehen sich durch die Jahrhunderte. Doch setzte Lycidas vor zwei Jahren einen noch kühneren Plan in die Tat um. Er ließ die Erbin der mächtigen Häuser entführen. Gleichwohl um sie auf der Stelle töten zu lassen, doch lief hierbei etwas schief.«
»Er steckt also doch hinter Maras Verschwinden«, sagte Emily, die neben Aurora saß und deren Hand hielt. Bei unserem Eintreffen waren sich die beiden Mädchen in die Arme gefallen und hatten geweint vor Glück, sich endlich wiederzusehen.
Nur ein Erbe würde die beiden Häuser vereinen können
. Mylady Hampstead sah uns ernst an.
Lycidas wusste das. Er trug einer Jägerin auf, Mara zu entführen. Sie sollte dem Kind das Herz aus dem Leib schneiden und es ihm als Beweis vorlegen. Doch hatte die Jägerin Mitleid mit dem Kind und übergab es dem Waisenhaus in Holborn. Statt des Kindes tötete sie einen Stadtstreicher, der betrunken an den Stufen des Trafalgar Squares kauerte, und überbrachte ihrem Herrn dessen Herz. Lycidas verspeiste das Herz und glaubte die Angelegenheit damit bereinigt
.
War ich der Einzige in der Runde, der auf diese Neuigkeit mit Skepsis reagierte?
»Woher, bitte schön, haben Sie Ihre Informationen, Mylady?«
Die Worte der Rättin widersprachen allem, was wir zu wissen glaubten.
Lord Brewster hat in den Archiven der Black Friars geforscht.
»Also hat er überlebt?«
Das war noch vor der Schlacht in Pairidaezas Kathedrale.
»Es würde meiner misstrauischen Natur entgegenkommen«, knurrte ich, »wenn Seine Lordschaft wieder einmal persönlich mit uns sprechen würde.« Ich sah in die Runde. »Um ehrlich zu sein, diese Neuigkeiten erscheinen mir wenig glaubhaft.«
Er hat die
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