Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
munter. Ihre Wangen hatten, nachdem wir erst einmal in London angekommen waren, an Rosigkeit gewonnen. Die klare Winterluft schien dem Kind gut zu tun. Zudem spürte sie die Nähe ihrer Halbschwester, und die große Schwester ließ keine Zweifel daran aufkommen, wie glücklich sie war, endlich ein Mitglied ihrer Familie um sich zu haben. Es war, als habe sie endlich nach all den Jahren einen Teil ihres Zuhauses wiedergefunden.
    »Wir gehören zusammen«, flüsterte sie ins Ohr der kleinen Mara. »Jetzt wird dir keiner mehr ein Leid antun.«
    Mara sah sie nur an.
    Aus diesen großen Augen, die auch Emilys hätten sein können.
    Allerdings kam kein Laut über ihre Lippen. Kein Sterbenswort.
    »Sie spricht nicht.«
    Ich nahm es zur Kenntnis.
    »Sie schreit auch nicht.«
    »Worüber wir uns nicht beklagen sollten.«
    »Vielleicht ist sie krank.«
    Dieses Kind!
    »Es geht ihr gut.«
    Sie sah aus wie ein ganz normales Kind.
    Punktum.
    Emily war ganz vernarrt in das kleine Wesen, das ruhig in ihrem Arm lag und die Arme um ihren Hals gelegt hatte.
    Aurora hielt sich etwas abseits, seitdem die kleine Mara zu uns gestoßen war.
    »Sie hat ihre Schwester gefunden«, sagte ich ihr, als Emily es nicht hören konnte.
    Aurora nickte traurig.
    »Verstehen Sie, was ich Ihnen sagen möchte?« Eindringlich musterte ich das dunkelhäutige Mädchen, das seiner Freundin all die Tage nicht von der Seite gewichen war. »Miss Emily hat eine Schwester gefunden. Keine neue Freundin. Sie hat nur eine einzige Freundin. Und die sollte sich jetzt nicht in Eifersucht ergehen.«
    Erschrocken schwieg Aurora.
    Später dann flüsterte sie mir kurz zu: »Ich habe schon verstanden.« Und lächelte verhalten.
    Gut so.
    In meiner Wohnung angekommen genügte ein Telefonat mit dem Britischen Museum, um mich davon in Kenntnis zu setzen, dass auch Maurice Micklewhite aus den Tiefen der Hölle zurückgekehrt war und wohlbehalten in seinem warmen Büro saß, wo er mich zu treffen wünschte.
    »Allerdings erst, nachdem du das Mädchen der Obhut ihrer Eltern übergeben hast«, trug er mir auf.
    So kam es, dass ich mich an diesem Vormittag in Begleitung von Emily Laing zum Anwesen der Manderleys gleich um die Ecke im Regent’s Park aufmachte.
    Aurora Fitzrovia war bereits kurz nach der Ankunft in meiner Wohnung in einen tiefen Schlaf gesunken; dies nicht zuletzt aufgrund des einschläfernden Tees, den ich ihr verabreicht hatte, da ich Manderley Manor mit Emily und Mara alleine aufsuchen wollte und Aurora, wie ich gemutmaßt hatte, wohl kaum von ihrer Freundin Seite hätte weichen wollen. Zu ihrem Schutz traf kurze Zeit später Mylady Hampstead ein, die sich ans Kopfende des Bettes hockte und mit ihren dunklen Knopfaugen über das schlafende Kind wachte.
    Von Lord Brewster hatte man, wie mir die alte Rättin mitteilte, noch kein Lebenszeichen erhalten.
    Erneut hatte draußen der Schneefall eingesetzt.
    Als wir mein Haus in Marylebone verließen, fragte Emily bang: »Glauben Sie, dass alles gut gehen wird?«
    Ich wollte sie nicht anlügen.
    Deshalb sagte ich: »Fragen Sie nicht.«
    So schritten wir schweigsam durch die winterlichen Straßen.
    Emily hing ihren Gedanken nach, die immer weniger die Gedanken eines Kindes waren.
    In einem Laden in der Baker Street hatten wir einen alten, klapprigen Kinderwagen erstanden, um Mara besser transportieren zu können. Das Mädchen saß paschagleich in dem neu erworbenen Gefährt, und ein Paar heller Augen blinzelte neugierig in das wuselnde Schneegestöber hinaus. Sie konnte eine gewisse Art, den Mundwinkel zu verziehen, ihr Eigen nennen, die sehr an die ungeduldige Emily erinnerte.
    »Bald schon werden wir unsere Mutter kennen lernen«, hatte Emily ihrer Schwester zugeflüstert.
    Ihr war aufgefallen, dass auch Mara ihre Mutter kaum kennen konnte.
    Wann, fragte sie sich wieder, war die Kleine entführt worden?
    Sie konnte nicht älter als wenige Monate gewesen sein. War es womöglich so, dass sie sich ebenso wenig an ihre Mutter erinnern konnte wie Emily und dass sie sich deswegen auch einsam fühlte, so wie sie selbst? Die arme Mara, dachte Emily traurig. Sie verstand nicht einmal, was sich um sie her abspielte und welche Rolle ihr in diesem Stück zugewiesen worden war.
    Etwas stimmte nicht mit dieser Welt.
    Lycidas hatte sie ohne weiteres ziehen lassen. Mit kaum einem Wort hatte er die Kämpfe in Pairidaezas Kathedrale erwähnt. Es war, als kümmere ihn das alles gar nicht mehr. Mit Grauen erinnerte sich Emily der Nekir und

Weitere Kostenlose Bücher