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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Leiber in Stücke, wirbelte sie tobsüchtig umher, bekam sie an den Schwänzen zu packen und warf sie gegen die Wände, wo sie mit einem dumpfen Geräusch abprallten und leblos oder vor Schmerzen fiepsend zu Boden fielen. Das verzweifelte Quieken vieler verletzter und sterbender Ratten erfüllte den Bahnhof und hallte schauerlich von den Wänden wider.
    Folgen Sie mir! Geschwind!
    Emily richtete ihre Aufmerksamkeit nun auf jene Ratte, die an ihrem Hosenbein nach oben kletterte. Es war tatsächlich dieselbe Ratte, mit der sie im Waisenhaus kurz gesprochen hatte. Das Tier hatte ein dunkles, fast schwarzes Fell und einen kleinen, hellen Flecken auf der Stirn, dicht über den wachsamen schwarzen Knopfaugen.
Laufen Sie dort hinaus
, wies die Ratte ihr den Weg.
Wir müssen Gleis drei erreichen, in einer halben Minute fährt dort die Central Line ab
. Flink war das kleine Tier auf Emilys Schulter geklettert und krallte sich dort mit den kleinen Füßchen an ihrer Schulter fest.
Und jetzt laufen Sie los
!
    Ohne zu überlegen gehorchte Emily.
    Der Wolfsjunge kämpfte noch immer mit den Ratten, deren Strom allmählich abebbte. Die kleinen Wesen hatten keine Chance gegen einen ausgewachsenen Werwolf (mittlerweile war Emily davon überzeugt, dass der Wolfsjunge ein solches Wesen sein musste); sie vermochten ihn allenfalls abzulenken und zu beschäftigen – und nur das war schließlich das Ziel ihrer mutigen Attacke gewesen. Emily hatte keine Ahnung, weshalb die Ratten sich derart für sie einsetzten. Was ging hier nur vor? Sprechende Ratten, ein Werwolf, der ihr nachsetzte?
    Wie auch immer – sie rannte so schnell sie ihre müden Füße trugen durch die Tunnel, die Ratte Hyronimus auf ihrer Schulter, und dann hörte sie das laute, lang gezogene Heulen. Gefolgt von einem tiefen Keuchen und dem Geräusch, das scharfe Krallen auf dem Asphalt machten. Während des Laufens warf sie einen Blick zurück und wurde des Wolfsjungen gewahr, der ihr mit großen Sprüngen nachsetzte. Mit Schrecken erkannte sie, dass er sich im Laufen veränderte. Sein Gesicht schien sich zu verformen, dehnte sich zu einer langen Schnauze mit triefenden Lefzen, die Augen hatten erneut das rote Glühen bekommen, und er rannte nun auf allen vieren. Er knurrte, fauchte und keuchte.
    Pochenden Herzens erreichte Emily Gleis drei, und wie es die Ratte prophezeit hatte, fuhr dort genau in diesem Moment die U-Bahn ein. Die Schiebetüren öffneten sich, und Emily sprang in den ersten Wagen, den sie erreichte. Hinter sich konnte sie keinen Werwolf erkennen. Nach einem Augenblick, der einer Ewigkeit gleichkam, schlossen sich die Türen endlich, und der Zug setzte sich infernalisch kreischend in Bewegung. Heiß war es und stickig. Es roch nach Teer und verschmorten Stromkabeln und dem Schweiß der Fahrgäste vom vergangenen Tag.
    Die wenigen bereits im Zug sitzenden und Zeitung lesenden Pendler warfen dem kleinen Mädchen in den schmutzigen Sachen abfällige Blicke zu.
    Emily beachtete die anderen Menschen nicht einmal.
    Sie fühlte sich keineswegs sicher.
    Keiner der Anwesenden würde sie vor dem, was ihr nachsetzte, beschützen können.
    Dann erreichte der große Werwolf den Bahnsteig und heulte wütend auf. Ein Passant im Nadelstreifenanzug, der wie der Werwolf den Zug verpasst hatte, blickte das Wesen erstaunt an. Emily glaubte noch zu erkennen, wie der wütende und genervte Werwolf den verdutzten und nunmehr eher ängstlichen als genervten Geschäftsmann mit ausgefahrenen Krallen ansprang, doch dann war der Zug auch schon im Tunnel und der Bahnsteig ihrem Blickfeld entschwunden.
    Wir haben es geschafft
, piepste die Ratte auf ihrer Schulter.
    Emily spürte den pelzigen Körper an ihrer Wange. »Hyronimus?«, fragte sie zögerlich.
    Niemand anderes
, antwortete dieser.
    Eine ältere Frau mit Pelzmantel und Hut musterte Emily abfällig. »So jung und schon ein Punk!«
    Emily ignorierte die Alte.
    »Danke«, flüsterte sie Hyronimus ganz außer Atem zu. »Für alles!« Dass sie mit einer Ratte sprach, wunderte sie schon gar nicht mehr.
    Emily und Lord Brewster verließen den Zug an der Tottenham Court Road, und es war dort, wo Emilys Kräfte nachließen und der Schock sich ihres Körpers bemächtigte. Sie am Fuße der Rolltreppe hinauf zur Charing Cross Road niedersinken ließ. Dort sollten sich unser beider Wege schneiden.
    Es bleibt anzumerken, dass ich nie besonders warme Sympathien hegte für Kinder, welchen Alters und welcher Spezies auch immer. Allein die

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