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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Tatsache, dass Lord Brewster sich des rothaarigen Mädchens mit den großen Augen und der verwahrlosten Kleidung angenommen hatte, ließ mich aufhorchen.
    Natürlich
ließ es mich aufhorchen, schließlich sprechen wir hier von Seiner Lordschaft Hyronimus Brewster; demjenigen, der den Black Friars während der Whitechapel-Aufstände diente. Niemand, der auch nur halbwegs Ehrgefühl sein Eigen nennt, würde einer Ratte eine Bitte abschlagen. Und die Knopfaugen Seiner Lordschaft ließen keine Zweifel aufkommen. Er brauchte Hilfe. Das Mädchen an seiner Seite ebenso. Was blieb mir also übrig?
    Ich hatte die Antiquariate in Covent Green nach alten Werken das Mischen von Heiltränken und anderen Tinkturen betreffend durchstöbert und einige Kräuter und magische Steine erstanden. Dem alten Raritätenladen oben am Cecil Court hatte ich einen kurzen Besuch abgestattet und dem Besitzer Mister Dickens bei einem Kräutertee Gesellschaft geleistet. Dann hatten mich meine Schritte hinab in den Untergrund gelenkt.
    Es hätte Zufall sein können, dass ich gerade an diesem Tag zu dieser frühen Stunde die U-Bahn in der Tottenham Court Road zu nehmen gedachte – doch wissen wir nicht alle, dass es so etwas wie Zufälle nicht gibt?! Menschen und andere Wesen folgen nun einmal ihrer Bestimmung. So viel ist von alters her sicher.
    Demnach konnte es
kein
Zufall sein, dass ich auf die kleine Emily und Seine Lordschaft traf.
    Ohne zu zögern trat ich auf die beiden zu und bot meine Hilfe an.
    Ein Schwächeanfall
, erklärte Lord Brewster.
    Ich kniete mich neben die Kleine und sprach sie an, worauf sie langsam die Augen öffnete.
    Darf ich Ihnen einen guten Freund vorstellen?
, piepste Seine Lordschaft freundlich.
    Die Kleine sah mich verwirrt und ängstlich an, was an meiner Kleidung oder meinem Aussehen liegen mochte. Vielleicht mutmaßte sie, in ein früheres Jahrhundert versetzt worden zu sein.
    Master Wittgenstein wird Ihnen eine Hilfe sein
.
    »Seien Sie gegrüßt«, sagte ich.
    Der Nager informierte mich über die Notwendigkeit, die U-Bahn-Station zu verlassen und sicherere Gefilde aufzusuchen. Und während wir die kleine Emily in mein Haus nach Marylebone brachten, klärte mich Seine Lordschaft über die Geschehnisse auf.
    Jedermann in der Stadt der Schornsteine wusste, dass Martin und Mia Mushrooms Neugeborenes einst von einem Unbekannten gestohlen worden und seitdem nicht wieder aufgetaucht war. Die besorgten Eltern hatten sich schon vor etlicher Zeit an die Ratten gewandt und von ihnen Hilfe erbeten. Mehrere Jahre hatte die Suche hier oben in London angedauert, und am gestrigen Tage hatte man berichtet, dass die Ratten endlich fündig geworden seien. Man vermutete die kleine Mara Mushroom in einem Waisenhaus drüben in Rotherhithe.
    So weit die Geschichten, die man sich erzählte.
    Lord Brewster hatte Kontakt zum einzigen Kind im Waisenhaus aufgenommen, das seiner Sprache mächtig war: Emily Laing. Doch bevor die Ratten ihren Plan zur Rettung des Mädchens Mara in die Tat umsetzen konnten, war sie erneut gestohlen worden.
    Ratet, wer der Übeltäter war!
, meinte Lord Brewster.
    »Ich habe so eine Vermutung.«
    Genau. Unser Freund aus Whitechapel
.
    Nicht schon wieder! »Larry der Lykanthrop.«
    Ihr sagt es.
    Whitechapel ist seit alters ein Ort, an dem sich der Abschaum zusammenrottet. Nichtsnutze, Taschendiebe, Tagelöhner und Diebesgesindel. Larry gehörte einer Bande von Werwölfen an, die Ende der Vierzigerjahre aus dem Norden Yorkshires nach London gekommen waren, weil sie hier eine fettere Beute vermuteten. Die Kerle hielten sich mit Gaunereien aller Art über Wasser, und hin und wieder, wenn der Mond ihr Blut zu sehr in Rage brachte, fielen sie über Obdachlose her, die ohnehin niemand vermisste. Werwölfe haben nur Beweggründe niederer Natur. Und Larry war da keine Ausnahme.
    »In wessen Auftrag hat er gehandelt?«, erkundigte ich mich bei meinem kleinen Begleiter.
    Wir wissen es nicht
.
    Welch ein Jammer!
    Ich betrachtete das kleine Mädchen und fragte mich, ob sie uns in dieser nicht gerade unbedeutsamen Angelegenheit eine Hilfe sein könnte. Etwas passierte in letzter Zeit, etwas kroch durch die Straßen und Gassen der Stadt und veränderte das Angesicht der Welt.
    »Was hat das alles zu bedeuten?«, wollte Emily viel später in meinem Anwesen in Marylebone von mir wissen.
    Geschlafen hatte sie jedenfalls wie ein Stein. Zwölf Stunden ohne Unterbrechung, wenn man die gelegentlichen Schreie nicht berücksichtigt, die

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