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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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ließ, welche jedoch abstoßend genug waren. Eine hünenhafte Gestalt mit breiten Schultern und fast schon eckigem Kopf, dem das Gesicht fehlte. Der Gedanke, dass so ein Ding in London frei herumlief, war alles andere als erbaulich.
    »Was sollen wir jetzt tun?«
    Die beiden Männer sahen das Mädchen überrascht an.
    »Ich meine, wenn es mehrere Golems sind, dann müssen wir doch etwas unternehmen, oder?«
    Maurice Micklewhite seufzte. »In der Tat, Miss Fitzrovia, das sollten wir.«
    »Und ihr solltet es schnell tun«, schlug Lord Nelson vor. »Denn wenn diese Wesen oder ihr Schöpfer etwas im Schilde führen, dann ist die Zeit bestimmt nicht euer Verbündeter.«
    Maurice Micklewhite wäre der Letzte gewesen, der etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte. Zudem hatte er schon einen Plan. Doch dazu würden er und Aurora ins Museum zurückkehren müssen. Es gab alte Schriften zu sichten, Pergamente zu entrollen und Stadtpläne zu entziffern. Irgendwo zwischen all den Informationen würden sie das finden, wonach sie suchten. Da war sich der Elf sicher. Irgendwo musste die Lösung verborgen sein.
    Um es mit Lord Nelsons Worten zu sagen: Es galt, keine Zeit zu verlieren.
    Derweil führte Dinsdale uns immer tiefer in die Eingeweide Londons hinab, in jenen Teil der Metropole, der als die Region bekannt ist. Die Luft selbst veränderte sich hier unten, wo man Zeuge der Vergänglichkeit ehemaliger Imperien werden konnte. Sie wurde schwer vom Erbe alter Schmerzen, staubig, trocken und kummervoll. Aus den Wänden ragten massive Steinquader und Teile von Skulpturen, die einst römische Gottheiten dargestellt hatten, mittlerweile aber dem Verfall ausgesetzt waren, sodass die vormals edlen und hochmütigen Gesichter zerbröckelt und ohne Ausdruck in die Dunkelheit starrten und vielleicht von den alten Zeiten träumten, die sie sehnsüchtig herbeiwünschten.
    »Was ist das hier?« Emily glaubte sich in einer fremden Welt.
    Und fürwahr, das war die Region.
    Eine fremde Welt.
    Als sei Londinium, jene römische Festung von einst, die vom heutigen Ludgate bis nach Aldgate reichte, mit all seinen Wegen und Gassen und Straßen in den Untergrund gesunken. Wir passierten einen geräumigen Tunnel, in dem sich Werkstätten, Schenken, Läden und Schmieden drängten. Allesamt seit Jahrhunderten verlassen.
    »Dies war einst das römische Londinium, das im Laufe der Jahrhunderte in Vergessenheit geraten ist.«
    Mit offenem Mund bestaunte Emily die Wunder, die sich ihr offenbarten.
    Dinsdale schwirrte munter vor uns her und geleitete uns.
    »Einige hundert Meter über uns müsste St. Paul’s liegen.«
    Was Emily den Blick zur Tunneldecke heben ließ.
    Der Boden war teilweise bedeckt mit Bechern und Würfeln, Schabern und Glocken, Schreibtafeln und Mühlrädern, Sandalen und Fibeln, die allesamt stummes Zeugnis ablegten von der Zeit, die einmal gewesen war. Wir kamen vorbei an Säulengängen mit Reliefs, die heidnische Schlachten darstellten, an eingefallenen Fenstern, hinter denen nunmehr außer schwarzem Gestein nichts zu entdecken war. Wir schritten über Böden, die mit Mosaiken geschmückt waren, wenngleich so stark beschädigt, dass man auch hier kaum mehr die ursprünglichen Motive zu erkennen vermochte. Dies war das untergegangene Londinium, die große Metropole von einst, heutzutage von den meisten gemieden und als die Region bekannt. Ein Grenzgebiet, in das normalerweise nur Tunnelstreicher vordrangen.
    Hier unten gedachten wir den Abgrund zu finden.
    »Was wird uns dort erwarten?« Emily trottete geduldig neben mir her.
    »Ein Abgrund«, gab ich zur Antwort.
    »Ja, das dachte ich mir. Aber was genau ist dieser Abgrund?«
    Dieses Kind!
    »Was ein Abgrund eben ist. Ein Loch. Ein tiefes Loch.«
    »Das wohin führt?«
    Ich zuckte die Achseln.
    »Ein bodenloses Loch also.«
    Ich hielt kurz inne und warf ihr einen gestrengen Blick zu. »Man nennt es den Abgrund, Miss Emily. Das ist der Name dieses Ortes. Was immer es sein mag, wir werden es bald zu Gesicht bekommen.«
    »Hm.«
    Darüber hinaus schien sie mir derzeit oft mit den Gedanken woanders zu sein. Peggotty, meine Haushälterin, hatte mich bereits vor diesem jungmädchenhaften, gedankenverlorenen Verhalten gewarnt.
    »Spüren Sie etwas?«, hakte ich nach.
    Selbst wenn sich außer uns niemand hier unten herumtrieb, so wäre dies eine gute Übung für das Mädchen. Emily hatte es anfangs nicht gemocht, wenn wir durch die Straßen der Stadt wanderten und sie sich der Gedanken der anderen

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