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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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nicht den Eindruck, als wolle er mit einem Kind sprechen.
    Emily suchte nach Auroras Hand und fand sie.
    »Ihr fragt Euch wohl, in welch dringlicher Angelegenheit ich Euch sprechen muss.«
    Maurice Micklewhite war vorgetreten: »In der Tat, das tun wir.«
    »Nun denn, so will ich Euch nicht länger warten lassen. Die Zeit ist kostbar geworden, und wir sollten sie nicht vergeuden, indem wir Floskeln austauschen.« Emily bemerkte, dass Anubis keine richtigen Schuhe trug, sondern seltsame Stiefel, an deren Vorderseite spitze Krallen herauswuchsen. »Vor nahezu einem Jahr traft Ihr unsere verschworene Gemeinschaft ins Mark, als Ihr den Lichtlord in die Verbannung schicktet. Was, das sei hier angemerkt, kein netter Zug war.«
    Maurice Micklewhite war da anderer Meinung: »Uns schien es eine gute Idee zu sein.«
    Anubis’ Augen blickten abfällig. »Ja, der ewige Kampf zwischen Gut und Böse. Das ist es, was die menschlichen Epen ausmacht, nicht wahr? Der Himmel ist gut, und die Hölle ist schlecht. Das ist es doch, was Euch damals vorschwebte?!« Die gutturale Stimme des Gottes klang heiser. Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort: »Dachtet Ihr niemals daran, dass es eine Ordnung gibt? Ein Muster, das den Dingen seinen Sinn gibt? Dass der Lichtlord einen Zweck erfüllt?« Unterdrückte Wut klang jetzt in der Tierstimme mit. »Es ist nicht immer so einfach, wie Ihr es Euch macht.«
    »Ihr deutet an, wir hätten einen Fehler gemacht?«
    Er sah mich an. »Einen Fehler, ja. In Unwissenheit und Übermut. Lycidas ist in der Kathedrale von St. Paul’s gefangen, und es wird schwierig sein, ihn von dort zu befreien.«
    »Ihr wollt ihn befreien?«, entfuhr es Emily.
    Der Lordkanzler nickte. »Mit Eurer Hilfe werde ich es versuchen.«
    Er ließ die Verblüffung wirken.
    »Mit unserer Hilfe?«
    »Ihr habt mich recht verstanden, Master Wittgenstein.«
    Maurice Micklewhite gefiel diese Wendung des Gespräches nicht im Geringsten. »Weshalb sollten wir das tun?«
    Der Totengott zog die Lefzen zu einem Grinsen zurück. Lange Zähne blitzten auf, die Emily an die Wölfe denken ließen.
    »Weil es die einzige Möglichkeit ist, ein großes Unheil abzuwenden«, antwortete der Lordkanzler. Er trat einen Schritt vor und berührte den Sarkophag, der neben der großen Anubis-Skulptur stand. Nachdenklich schien er den Tagen nachzutrauern, die einst gewesen waren. Den Jahrzehnten vor der Emigration aus dem Land seiner Ahnen. »Rattlinge sind aufgetaucht, und Ihr habt nicht die geringste Ahnung, auf wessen Geheiß sie nach London gekommen sind.«
    Niemand widersprach ihm.
    Emily musste an Mylady Hampstead denken, die im ersten Stock des Museums an der unbekannten Krankheit dahinsiechte. Immer schlimmer war ihr Zustand während der vergangenen Stunden geworden. Es war, als hätte sie sich mit einer Krankheit infiziert, für die es keine Heilung gab.
    »Die Rattlinge sind nur die Boten einer Macht, die sich anschickt, London für sich zu gewinnen. Ihr kennt die uralten Metropolen dieser Welt. Athen, Paris, Berlin.« Mit einem süffisanten Lächeln fügte er hinzu: »Troja, das einst war und jetzt wieder ist.«
    Emily hatte nicht die geringste Ahnung, wovon er sprach.
    Sie fand es schon seltsam genug, dass diese hoch gewachsene Gestalt mit dem Kopf eines Schakals wirklich ein Gott war.
    »Ihr meint«, warf Maurice Micklewhite ein, »dass da etwas ist, das darauf wartet, London zu erobern?«
    »Erobern klingt ein wenig apokalyptisch, findet Ihr nicht auch?! Die Vorgehensweise dieser Wesenheit ist ungleich … komplizierter. Und letztlich kann ich Euch versichern, dass sie nicht darauf wartet; nein, es hat bereits begonnen.« Er hielt einen Augenblick lang inne und schlug dann vor: »Wir sollten uns vielleicht setzen, und Ihr könntet mir einen Tee anbieten. Ist das nicht die höfliche englische Art?«
    »Entschuldigt«, sagte ich, »es war nachlässig von uns, dies zu vergessen.«
    Maurice Micklewhite fand das auch.
    Man lud keinen Gott auf ein Gespräch ein und bot ihm dann nicht einmal Gebäck und Tee an. Das war nicht anständig.
    Wir begaben uns also in die Cafeteria im Erdgeschoss, wo um diese Uhrzeit sowieso niemand mehr verweilte. Die beiden Mädchen setzten Tee auf, und wir anderen nahmen an einem der vielen Tische Platz. An den Wänden hingen Photographien der Carter-Expedition, die in den Zwanzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts das Grab des legendären Tutenchamun entdeckt hatte. Einige der Photographien zeigten ein bekanntes

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