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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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in einem Laden befand, und andererseits natürlich die Frage aufwarf, wie Mr. Dickens wohl sein Geld verdiente.
    »Er schreibt«, hatte Neil einmal erwähnt, jedoch ohne zu spezifizieren, was genau der alte Edward Dickens denn schrieb.
    Die hölzernen, bis hinauf zur Decke reichenden Regale und die dürftige, matte Beleuchtung erweckten den Eindruck, als befände man sich in einer Höhle, irgendwo tief unter der Erde. Die überaus engen Gänge – an manchen Stellen konnte man sich nur seitwärts fortbewegen – wirkten labyrinthisch wie die Pfade der uralten Metropole; gerade so, als wandle man durch einen Irrgarten aus Geschichten und Gedanken, der sich sogar bis in den Keller des Hauses erstreckte. Die Stille wurde nur von behutsamen Schritten auf den knarzenden Dielen und dem stetig gegen die Milchglasfenster prasselnden Regen unterbrochen. Wenn überhaupt, dann wurde nur leise gesprochen. Es gab niemals laute Worte im Laden, bloß dahingehauchtes Flüstern, das sich mit dem Geräusch in Büchern blätternder Finger zu einem Bild voller staubiger Farben vermischte. Kaufte jemand etwas – egal ob Buch, Foliant oder Nippes –, dann erklang das trockene Klingeln der rostigen Registrierkasse.
    Hier fühlte Emily sich wohl.
    »Es ist alles so … kompliziert«, versuchte Emily es auf den Punkt zu bringen. »Die Welt ist so … erwachsen. Und hier im Laden scheint mir die Zeit stehen geblieben zu sein.«
    Der Raritätenladen war wie ein ruhender Pol inmitten all des Aufruhrs.
    Jedenfalls empfand Emily es so.
    Die Hintertür öffnete sich, und Mr. Dickens betrat den Laden, wie immer leicht gebeugt, mit abstehendem, schütterem Haar und einer drahtigen Lesebrille auf der langen Nase.
    »Ha, Miss Emily, wie schön, Sie hier zu sehen«, begrüßte er sie.
    Emily bedankte sich höflich.
    Und Neil kam sofort zur Sache.
    »Wir suchen ein Buch über Lilith«, sagte er.
    Mr. Dickens oder »der alte Edward«, wie Neil seinen Adoptivvater liebevoll zu nennen pflegte, blickte neugierig über die runden, randlosen Gläser seiner Brille auf die beiden Kinder. »Lilith, sagt ihr. Die Göttin des Mondes und erste Frau Adams. So, so. Ja, ja, da müssten wir einige Bücher haben.« Ohne eine Antwort der Kinder abzuwarten, tat er das, was er immer tat, wenn es jemanden nach einem Buch verlangte: Er schlurfte kaum hörbar etwas vor sich hinmurmelnd an den Regalen entlang, tastete mit den Fingerspitzen die Buchrücken ab, zog hier und da einen Band aus dem Regal und stellte ihn wieder zurück. »Ah ja, da ist es ja«, hörten die Kinder ihn frohlocken und Sekundenbruchteile später erneut: »Und da, haben wir gleich noch zwei! Hab ich’s doch gewusst.« Freudig legte er drei Bücher vor die Kinder auf den Tisch. »Da sind sie. Die müssten euch weiterhelfen.«
    Emily las die Titel.
    Hebräische Mythen: Das Buch Genesis
von Robert Graves und Raphael Patai.
Die hebräische Göttin
, ebenfalls von Raphael Patai, der ein Fachmann auf diesem Gebiet zu sein schien. Und nicht zuletzt einen dicken, angestaubten Schmöker in dunklem Leinen:
Midrash und Kabbala
, geschrieben von – und hier staunte Emily nicht wenig – Morgaine Monflathers.
    »Die Monflathers hat ein Buch geschrieben?«
    Eigentlich war dieser Tatbestand nicht weiter verwunderlich. Miss Monflathers war alt und gebildet und elitär, und ein Buch zu schreiben war eigentlich genau das, was man von jemandem wie ihr erwartete.
    »Nebenbei gefragt«, hakte Mr. Dickens nach, »was beabsichtigt ihr zu finden?«
    »Die Geschichte Liliths«, antwortete Emily.
    »Zu welchem Zweck?«
    Die alten Augen funkelten die Kinder an.
    »Nun ja«, murmelte Neil.
    »Es interessiert uns eben«, entgegnete Emily.
    »Wie die meisten Kinder in eurem Alter, so interessiert auch ihr beiden euch für die überaus komplizierte Geschichte der Lilith. Tja, tja, so ist das.« Er grinste wissend. »Dass ihr mir nicht auf Abwege geratet!« Er ließ den Blick von einem zum anderen wandern. »Bei all dem Wissen, das ihr euch da aneignet.«
    »Wir passen auf«, versprach Emily.
    »Ja, das tun wir«, gelobte auch Neil.
    Mr. Dickens schien dies zu genügen.
    »Ich habe noch zu tun«, sagte er zu beiden, und an Neil richtete er die Bitte: »Wenn Kundschaft kommt, dann überseht sie nicht zwischen all den Buchstaben.«
    »Versprochen!«
    »Versprochen!«
    »Gut, gut!«
    Mit diesen Worten empfahl sich der ältere Herr und verließ den Laden durch die Tür, durch die er ihn betreten hatte.
    Neil sagte nur: »Jetzt schreibt

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