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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Neil, »werde ich auf einem Schiff in See stechen.«
    Etwas in seinem Blick sagte Emily, dass dies nicht nur ein Jungentraum war.
    Doch letzten Endes war Neil genau das.
    Ein Junge.
    Nicht zu vergleichen mit Dorian Steerforth, der, wenngleich noch kein Mann, doch auch kein Junge mehr war. Oh nein, das war er mit Sicherheit nicht. Dorian war reifer als der junge Neil, und obwohl sich Emily in Neil Trents Gegenwart mehr als nur wohl fühlte, so hatte sie doch in Steerforths Nähe ein Kribbeln verspürt, das einfach nicht da war, wenn sie im Raritätenladen herumlungerte. Es hatte sie verunsichert, dieses Gefühl. Das musste sie sich eingestehen. Und wenngleich sie vor Aurora keine Geheimnisse hegte, hatte sie diese Tatsache doch vor ihr verborgen.
    Warum nur?
    Wieso hatte sie nicht mit ihrer besten Freundin darüber reden können?
    Mit Dorian Steerforth hatte sie über so vieles reden können. Mit ihm, den sie doch kaum kannte. Während sie durch die Straßen des alten, versunkenen Londiniums gewandelt waren, hatte er sie an seinem Leben teilhaben lassen. Auch Emily hatte einiges von sich preisgegeben. Die Worte waren ihr über die Lippen geflossen, als hätten sie nur darauf gewartet, geformt und ausgesprochen zu werden. Emily war seltsam mitteilsam gewesen in der Gegenwart des schönen Mannes, der doch noch so jungenhaft wirkte und, das musste sie sich eingestehen, auch ein wenig mädchenhaft.
    »Haben Sie oft Angst davor, dass die Leute Ihr Auge anstarren könnten?«, hatte er von ihr wissen wollen.
    »Wieso fragen Sie das?« Emily hatte die Frage als aufdringlich und unhöflich empfunden.
    Neil würde niemals so indiskret sein.
    »Weil es mich interessiert.«
    Emily schätzte diese Art von Offenheit nicht besonders.
    »Die Leute starren mich an, weil ich das Mondsteinauge habe.« Eine Feststellung war das, nichts weiter.
    »Nein.« Steerforth war stehen geblieben.
    »Nein?«
    »Sie haben mich richtig verstanden.« Er wiederholte es vehement: »Nein!«
    Emily hatte keine Lust verspürt, etwas darauf zu erwidern.
    »Miss Laing, die Leute starren Sie an, weil Sie eine Schönheit sind.« Er sagte dies fast sachlich. »Jetzt schauen Sie mich nicht so an. Mädchen sind eitel und kokettieren mit ihren Reizen und sprechen zu ihrem Spiegel. Sie, Miss Emily, sind noch jung und fangen erst an, die Kunst der Selbstdarstellung zu erlernen.«
    »Das stimmt nicht«, verteidigte sich Emily und wusste nicht einmal, warum sie sich so über den Fremden ärgerte.
    »Ach ja?«
    Sie gingen weiter ihres Weges.
    Was für ein Gespräch führe ich hier eigentlich, fragte sich das Mädchen und schalt sich selbst eine Närrin.
    Steerforth tänzelte vor ihr über das Kopfsteinpflaster der alten römischen Straße. An einer Weggabelung trafen sie auf das Irrlicht. Dinsdale flimmerte müde und entschuldigte sich bei Emily dafür, sich in einem Mauerspalt versteckt zu haben. Die Kräfte hatten ihn verlassen, nachdem er von zwei weiteren Hymenopteras attackiert worden war, und bevor er nicht in eine Lichtquelle hatte eintauchen können, um neue Kraft zu schöpfen, hatte er sich nicht hervorgetraut aus Angst, weiteren dieser Geschöpfe zu begegnen.
    »Ein Irrlichtiger«, begrüßte Steerforth freudig den seinerseits hocherfreuten Dinsdale.
    »Er ist ein Pfadfinder«, stellte Emily das in der Luft tänzelnde Licht vor.
    Dann hatten sie die Region zu dritt verlassen.
    Unterwegs hatten Steerforth und Emily das begonnene Gespräch wiederaufgenommen.
    »Machen Sie gerne Komplimente?«, erkundigte Emily sich.
    »Wenn Sie auf der Wahrheit beruhen, dann sollte man sie auch aussprechen.«
    Das Mädchen zog ein Gesicht.
    »Ein jedes Mädchen ist empfänglich für Komplimente. Und Frauen allemal.«
    »Wittgenstein sagt, dass Komplimente an eitle Menschen gerichtete Lügen sind.«
    »Wer ist Wittgenstein?«
    »Mein Mentor.«
    »Den sie in der Region verloren haben?«
    »Wir sind getrennt worden.«
    »Das sagten Sie bereits.«
    »Ich weiß.«
    Steerforth seufzte. »Sie sind sehr eigensinnig, Miss Emily. Hat Ihnen das schon jemand gesagt?«
    Emily musste lächeln. »Fragen Sie erst gar nicht!«
    Steerforth wusste wenig mit dieser Bemerkung anzufangen.
    Was Emily gut nachempfinden konnte.
    »Da Sie für Komplimente nicht empfänglich sind«, fuhr Steerforth fort, »sollte ich Ihnen vielleicht darlegen, wer derjenige ist, der die Komplimente macht.« Süffisant grinste er das Mädchen an. »Was Sie vielleicht überzeugen wird, die Komplimente anzunehmen.« Sodann

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