Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
Verbrechens, doch starb Seine Lordschaft nicht von des Golems Hand. Er ist erstochen worden. Mit einer Elfenklinge, davon war Lady Manderley überzeugt.«
    »Sie meinen, er ist in eine Falle getappt?«
    »Genau.«
    »Warum?«
    »Nicodemus Manderley war ein angesehenes Mitglied im Senat der Metropole«, antwortete Maurice Micklewhite, »und er hatte sich schon oftmals gegen bestimmte Vorhaben Mushroom Manors ausgesprochen.«
    »Was sind das für Vorhaben gewesen?«
    »Unwichtig«, tat der Elf ihre Frage ab.
    »Wonach also sollen wir suchen?« Erneut fiel Auroras Blick auf den dicken Wälzer, der vor ihr auf dem Tisch lag. Und auf einmal fühlte sie sich allein. Emily müsste bei ihr sein. Je mehr sie darüber nachdachte, desto weniger passte es ihr, dass sie beide getrennt worden waren.
    Einen Engel hatte Emily treffen wollen. Einen dieser seltsamen Urieliten. Einen Straßenmusikanten.
    Warum nur war in dieser Welt alles so verschroben?
    Sie betrachtete den Baum und die Ahnenreihe, und wieder einmal beschlich sie ein dunkles Gefühl, dessen sie sich nicht erwehren konnte. Sie wusste, was für ein Gefühl es war. Gelesen hatte sie oft darüber … beziehungsweise hatte sie zugehört, wenn Emily ihr Geschichten erzählt hatte. Wenn sie abends vor dem Einschlafen wiedergab, was, auf den Seiten der kitschigen, wenngleich klassischen Romane geschah, die bei Mrs. Quilp in Massen in den Regalen standen.
    Es war Neid, den Aurora verspürte.
    Nagender Neid.
    Weil dies hier Emilys Familie war.
    Es waren deren Großeltern und Urgroßeltern.
    Zurückverfolgen konnte man die Ahnenreihe über Generationen hinweg. Seitenweise krochen die Äste des Baumes dahin. Verzweigten sich, flossen sogar manchmal wieder zusammen, um einen neuen Ast zu bilden, der ausschlug und spross, und so war der Baum gewachsen. Weiter und weiter. Und an seinem Ende reckten sich zwei einsame, dürre Äste in die Leere des ansonsten unbeschriebenen Blattes – auch wenn der zweite Ast natürlich nur vor Auroras geistigem Auge auf der Seite eingezeichnet war: Mara Manderley und Emily Manderley, die niemals so heißen würde und das nach eigenem Bekunden, sondern immer Emily Laing bleiben wollte.
    Kinder, deren Vater in Vergessenheit geraten war.
    Richard Swiveller.
    Immerhin kannte Emily all die Namen. Auch wenn es nur Namen waren.
    Das war der Grund für Auroras stille Verzweiflung.
    Nagender Neid.
    Weil sie, Aurora Fitzrovia, nichts anderes tun konnte, als den Namen eines Stadtteils beizubehalten. Nur weil man sie dort vorgefunden hatte. In Fitzrovia. Eingepackt in eine grüne Mülltüte und achtlos neben einem Briefkasten deponiert.
    »Miss Aurora?«
    Des Elfen Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
    »Es tut mir Leid«, entschuldigte sie ihre Geistesabwesenheit und fragte schnell: »Was kann ich tun?«
    »Sie werden sehen«, wies Maurice Micklewhite sie an, »dass sich weiter hinten in dem Buch Berichte über die Familie finden. Durchforsten sie diese Berichte nach ungewöhnlichen Begebenheiten. Ich selbst werde das Gleiche bei Familie Mushroom tun.«
    »Wonach soll ich denn suchen?«
    »Nach allem, was Ihnen seltsam erscheint.« Er hielt inne und verbesserte sich: »Nach allem, was auch mir seltsam erscheinen würde. Wovon Sie glauben, dass es mir seltsam erscheinen würde. Na ja, Sie wissen schon, was ich meine.«
    »Beispielsweise?«
    »Reisen in ferne Länder«, zählte er auf, »geschäftliche Treffen. Unternehmensberichte. Handelsabschlüsse. Senatssitzungen. Was immer Sie finden. Irgendwo dort drinnen«, und damit schlug er auf den Einband, »muss sich etwas verbergen, das wir bisher übersehen haben. Das
ich
bisher übersehen habe.«
    Nun denn.
    Aurora tat, wie ihr geheißen ward.
    Sie konzentrierte sich.
    Schlürfte den Zitronentee, den Maurice Micklewhite ihr gebracht hatte.
    Und begann zu lesen.
    Zu blättern.
    Zu stöbern.
    Weiter und weiter.
    Einem Bücherwurm gleich fraß sie sich durch all das bedruckte und teilweise sogar handbeschriebene Konvolut, das aus dickem, festem Pergament bestand, und erhielt Einblicke in das Leben der Manderleys.
    So rann die Zeit durchs Stundenglas.
    Sandkorn für Sandkorn.
    Stetig und unaufhaltsam.
    Gegen Mittag, als die Augen des Mädchens bereits zu schmerzen begannen und ihr die Buchstaben vor lauter Müdigkeit verschwammen, schreckte sie plötzlich auf, weil Maurice Micklewhite lauthals in den Saal hineinrief: »Heureka! Das ist es!«
    »Was haben Sie gefunden?« Ihre Stimme zitterte.
    So aufgeregt hatte sie

Weitere Kostenlose Bücher