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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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jedoch oftmals bewahrheitet hatten.
    Maurice Micklewhite wusste dies ebenso.
    Dennoch fragte er: »Welche Bedeutung hätte es für uns, wenn dies wirklich so gewesen wäre?«
    Keine schlechte Frage.
    »Wenn dem wirklich so wäre«, gab Miss Monflathers zur Antwort, »dann würde uns dies erneut vor Augen halten, wie gewissenlos jenes Wesen doch ist, das zu retten wir so reinen Herzens bereit sind.«
    Alle sahen wir sie fragend an.
    Energisch begegnete sie unseren Blicken.
    Beinah tadelnd.
    »Wir sollten uns im Klaren darüber sein«, betonte sie, »dass wir es hier mit einem uralten Wesen zu tun haben. Lilith ist nicht die Frau, die sie zu sein vorgibt. Von alters her agiert sie hinter Masken. Sie ist die verführerische Frau, und sie ist der Rattenfänger. Mal böse, mal gute Absichten vortäuschend. Doch eines ist gewiss: Niemals kann man sich sicher sein, dass sie die Wahrheit spricht. Die alten Geschichten zeigen, dass sie niemals von Reue getrieben worden ist. Unzählige Kinder hat sie auf dem Gewissen. Und niemand weiß, wie viele dieser Kinder gestorben sind und wie viele dort unten als leblose Puppen mit Spiegelscherben in den Augen dahinvegetieren. Was nebenbei bemerkt dem Tod sehr nahe kommt.«
    Maurice Micklewhite versuchte, es auf den Punkt zu bringen: »Sie sind der Meinung, dass wir sie nicht befreien sollten?«
    »Hätte ich mir dann die Mühe gemacht, den ganzen Weg mit euch zu gehen? Nein, da hätte ich dann doch Besseres zu tun.« Ihre Stimme klang jetzt ungeduldig. »Ich würde Lilith am liebsten für immer dort unten gefangen wissen«, gab Miss Monflathers zur Antwort, »doch befinden wir uns nun einmal in einer delikaten Situation. Die uralte Metropole befindet sich in dieser delikaten Situation. Nur Lycidas kann dem Nyx Einhalt gebieten, und um Lycidas zu befreien, benötigen wir Lady Lilith. So einfach ist das.« Sie atmete tief durch. »Nein, ich will euch nur vor Augen halten, dass wir beabsichtigen, ein Raubtier freizulassen. Denn das ist es, was sie ist. Die Lichtlady ist nicht das selbstlos liebende Weib. Sie ist dem Lichtlord nicht schulmädchengleich verfallen. Nein, ein Raubtier ist sie.« Ernst schaute sie von einem zum anderen. »Das, meine Freunde, sollte keiner von uns vergessen, wenn wir dort hinuntergehen.«
    Sie deutete auf ein Loch im Boden.
    Eine hölzerne Falltür, die verriegelt war.
    »Sie war der Rattenfänger«, betonte Miss Monflathers, und in diesem Augenblick war ich wieder der unerfahrene Schüler, der einst verschüchtert und furchtsam auf seiner Bank in Salem House gesessen und gehofft hatte, nicht an die Tafel gerufen zu werden. »Sie war der Rattenfänger«, wiederholte sie, »und wenn wir nicht aufpassen, dann wird uns das gleiche Schicksal widerfahren wie all den unglückseligen Kindern.«
    Dinsdale schwebte an der Decke über uns und tauchte den kleinen Raum, in den der Tunnel mündete, in warmes Licht. Der Boden, dessen wurden wir jetzt gewahr, war mit Runen und Zeichen bedeckt, die in ellipsenförmigen Bahnen um die Falltür herum angeordnet waren.
    »Engelszeichen«, sagte Rahel.
    Das erste Wort, das er seit langem gesprochen hatte.
    Er trat vor und öffnete die Falltür.
    Dann sah er zu uns auf.
    Erhob sich.
    Und sagte: »Ich habe Lilith gekannt!«
    Das Feuer in seinen Augen loderte auf.
    Miss Monflathers nickte anerkennend.
    Schwieg.
    Dann trat sie neben den Engel und sah in den Schacht hinab, der sich unter der Falltür aufgetan hatte. »Wer begleitet mich in die Hölle?«, fragte sie schroff, und ohne eine Antwort abzuwarten, begann sie mit vorsichtigen Bewegungen den Abstieg. Dinsdale war vor ihr in den Schacht geflogen und leuchtete ihr den Weg.
    Der Engel Rahel wirkte überrascht.
    Sah mich an.
    »Fragt nicht«, kam ich ihm zuvor.
    Dann begannen auch wir mit dem Abstieg. Denn die Zeit, das wussten wir alle, drängte.

Kapitel 3
Reverend Dombey
    Die Hölle war ein Eispalast. Das war uns bekannt. »Doch eines«, führte Miss Monflathers ihre im Schutztunnel begonnenen Ausführungen fort, »haben wir bisher nicht gewusst.« Der Gedanke, dass die Lehrerin einst den Black Friars gedient und im Auftrag des Ordens einen Großteil dieses Höhlensystems kartographiert hatte, erfüllte mich nach wie vor mit einem befremdlich anmutenden Stolz. Wie früher schon, während all der Unterrichtsstunden, bevorzugte Miss Monflathers eine gewisse Dramaturgie bei ihren Darstellungen. »Diese Methodik«, hatte sie mir gegenüber einmal bekannt – das war, sei hier

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