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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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antwortete: »Weil du mich gelehrt hast, Fragen zu stellen.« Dann hob er den toten Bruder vom Boden auf und breitete die Schwingen aus. »Jetzt«, sagte er zum Abschied, und ich glaubte, Tränen in den hellen Augen zu erkennen, »trägt das Tor seinen Namen zu Recht.« Ein kalter Wind schlug uns ins Gesicht, als er sich erhob und zur Decke der Höhle hinaufflog, wo er einen Augenblick lang verharrte, um dann in den Schatten zu verschwinden.
    Rahel sah ihm hinterher.
    Auch er wirkte traurig.
    Langsam streckte er die Hand aus und berührte das Tor.
    Denn das war seine Magie, wie er uns mitteilte. »Nur Verräter vermögen es zu öffnen.«
    So betraten wir den Tower von London in der uralten Metropole erneut. Drüben im White Tower vermuteten wir den Aufenthaltsort der Lichtlady. Türen standen allerorts offen. Rabenmenschen der Garde lagen in den Ecken der Gänge und in den gewundenen Treppenhäusern, tief in Schlaf versunken, als habe sich eine dunkle Prinzessin an einem Dorn gestochen.
    »Es ist gespenstisch«, sagte Miss Monflathers, die seit dem Tod des Engels beim Verrätertor kein Wort mehr gesprochen hatte. Mit wachsamen Augen hatte sie in die entlegenen Winkel des Towers gespäht, überall einen Hinterhalt vermutend. »Unheimlich, wie im Märchen.«
    »Lassen Sie uns weitergehen«, schlug ich vor.
    Mich auch umsehend.
    Denn man konnte niemals wissen …
    Dinsdale, das treue Irrlicht aus Manchester, leuchtete uns den Weg die lange Treppe hinauf, und oben im Turm, von dem wir annahmen, dass es der Südturm war, sahen wir sie endlich.
    In der Mitte des runden Raumes stand ein gläserner Sarg.
    Und darin lag Mylady Lilith. Bleich und alt und mit runzliger Haut und langen Falten im Gesicht, und doch so wunderschön. Mit weit geöffneten, leblosen Spiegelscherbenaugen starrte sie ins Leere. Als wir näher an die Ruhestätte herantraten, konnten wir uns selbst in ihren Augen sehen, die kaltes Glas waren und doch wärmer wirkten, als ich sie in Erinnerung hatte. Ich erinnerte mich jener Augenblicke, als die Urieliten die Zeit eingefroren hatten und das Schneegestöber die Lichtlady aus dem Arm ihres Gefährten gerissen und davongetragen hatte. Schön war sie auch damals gewesen. Schon immer war sie das gewesen. Doch hatte sich damals die Verletzbarkeit in ihren eisig blauen Augen offenbart. Damals, als die Urieliten zu singen begonnen hatten.
    Heaven, I’m in heaven. And my heart beats so that I can hardly speak.
    Jemand hatte sie in den Schlaf geküsst. Die flammenden Lippen Lord Uriels hatten dies vollbracht. Wie Feuer und Eis. Und das Leben, das Lilith all die Jahrtausende gekannt hatte, war aus ihrem Körper gewichen. Eifersucht hatte sie verspürt, als der Engel ihr nahe gekommen war. Damals, als die drei Engel sie am Ufer des Roten Meeres aufgesucht und ihr den Willen des Träumers mitgeteilt hatten. Damals hatte sie es in Uriels Augen lesen können. Eine lodernde Eifersucht, weil Lucifer sie begehrte und dieses Begehren von ihr erwidert wurde. Ein Gefühl, das einem Engel verboten ist, weil jegliche Gefühle den Engeln verboten sind.
    »Gefühle«, hatte Rahel uns erklärt, »sind die Geißel der Menschen.«
    So hatte man es die Engel gelehrt.
    Doch hatte Lord Uriel die Lichtlady nicht noch anders angesehen? Welche Gelüste hatte der Lichtengel verspürt? Und hatte er sich nicht zum Richter über seine Brüder erhoben? Der junge Rahel hatte sie bewundert. Doch Lucifer, der ihr Gefährte werden sollte, hatte gelächelt.
    »Eines Engels Lächeln für eine abtrünnige Frau«, würde sie mir später mit verträumten Augen sagen.
    Welch größeres Geschenk hätte ihr der Lichtlord machen können?
    Lucifer, der sie später in die Arme nahm und die Dämonen aus den Höhlen vertrieb. Der für sie sang. Der ihr kunstvoll Runen und Gedichte aufs Gesicht schrieb, gemalt mit dem Blut eines Engels.
    Als Lord Uriel die Armeen angeführt und des Träumers Zorn Himmel und Erde gleichermaßen blutig rot färbte. Engel fielen vom Himmel und verglühten in ihrer eigenen Leidenschaft. Allzu viele starben, und nur wenige wurden verbannt. Eine Zeit der Niedertracht war es gewesen. Ein Vorgeschmack der Apokalypse. Damals. Als die Zeit geboren wurde und die Lieder der Engel noch klar wie Sonnenlicht gewesen waren.
    Doch war dies vorüber.
    Jetzt lag sie in dem Sarg.
    Und sah.
    Während die Spiegelscherben in ihren Augen schmerzten, wie sie es in den Augen all jener Kinder taten. Nur atmen konnte Lilith. Und sehen. Zusehen, wie das

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