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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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bis sie von einer Reihe kleiner Bäume und Hecken vom Horizont abgeschnitten wird.
    »Die Wolken dort sind fast schon schwarz«, stellte Mylady Lilith fest, »doch fällt ein Lichtstrahl durch die Wolkendecke und nimmt den dunklen Wolken ihre Bedrohlichkeit. Deswegen, mein lieber Wittgenstein, mag ich dieses Bild. Es ist so real. Wolken verändern ihre Form und Farbe fortwährend. Es gibt keine zwei Tage, die identisch sind, nicht einmal zwei Stunden, und seit der Erschaffung der Welt hat es nie zwei gleiche Blätter an ein und demselben Baum gegeben.« Sie seufzte. »All das ist in diesem Bild eingefangen.« Sie sah mir direkt in die Augen. »Deswegen werde ich Lycidas befreien. Weil er das Leben für mich lebenswert gemacht hat. Ich will, dass er an meiner statt hier sitzt und dieses Bild betrachtet und währenddessen mit den Gedanken bei mir ist, genau so wie ich mit meinen Gedanken bei ihm bin. In diesem Augenblick.« Ihre Stimme, die für einen Moment einen Hauch von Wärme besessen hatte, wurde wieder kalt und unnahbar. »Ist das nicht romantisch?« Fast schon spöttisch klang die Frage.
    Gemessen an den Geschehnissen, deren Zeugin diese Frau im Laufe ihres Lebens geworden war, konnte man ihr den Spott nicht verübeln. Noch unten in der uralten Metropole hatte sie uns über einige Dinge aufgeklärt.
    Miss Monflathers war es gewesen, die das Gespräch in Gang gebracht hatte; Miss Monflathers und ihre Theorie über die vielen Zugänge zur Hölle und die Bedrohung, die deswegen vom Nyx ausging.
    »Was halten Sie von dieser Theorie?«, fragte sie die Lichtlady.
    Mylady Lilith hatte sich in keinster Weise überrascht gezeigt.
    »Sie denken nach wie vor, dass ich die Personifizierung des Bösen bin.« Es war eine Feststellung und keine Frage, wenngleich es als solche hätte aufgefasst werden können.
    Miss Monflathers entgegnete nichts.
    »Ich bin böse, weil ich die Kinder geraubt habe«, fuhr Mylady Lilith fort. »Doch ist nicht derjenige als weitaus boshafter zu bezeichnen, der mir jenes Schicksal auferlegt hat?«
    Niemand hatte darauf geantwortet.
    Wir durchquerten die Tunnel der Stadtwerke, an deren Seiten dicke Stromkabel entlangliefen. Nur selten verirrten sich Arbeiter in diese Regionen, dabei waren Tunnel und Schächte dieser Art die häufigsten Schnittstellen zwischen London und der uralten Metropole.
    »Schon lange bekämpfen wir den Nyx.«
    Provokant musterte uns die Lichtlady.
    Daraufhin hatte Miss Monflathers ihr gegenüber auf die alten Geschichten angespielt. All die Mythen jenen rätselhaften Rattenfänger betreffend.
    »Der Nyx war dem Träumer nicht unähnlich. Damals, als er noch nicht verbannt worden war. Er gierte nach Macht und wollte dem Träumer nicht untertan sein. Er missachtete die Schöpfung und verführte die Menschheit. Ja, er war der erste Verführer. Er war die Schlange, die Böses in der Welt verbreitete, die Zwietracht säte und Neid und Missgunst. Einst nährte sich der Nyx vom Lebensbaum, und wenn die Menschen von den Früchten dieses Baumes aßen, dann waren sie ihm verfallen. Denn der Nyx forderte den Menschen ein Versprechen ab, bei ihrer Seele, ihm zu dienen, wenn er ihnen die süßen Früchte des Baumes zuteil werden ließ.«
    »Der Nyx war die Schlange?«, hakte Maurice Micklewhite nach.
    »In Wirklichkeit war alles natürlich weitaus komplizierter, als es die Schriften der Menschen Glauben machen wollen. Jene Geschichte mit den beiden Menschen, die die ersten Menschen gewesen sein sollen. Die ersten und einzigen. Nun ja. Der Nyx hatte es schon mit einer größeren Anzahl menschlicher Lebewesen zu tun. Es gab nicht nur einen Adam und nicht nur eine Eva. Es gab ihrer viele. Und die meisten dieser naiven Geschöpfe ließen sich nur zu gerne verführen. Zumindest auf metaphorischer Ebene stimmt es, dass diesen Menschen die Unschuld geraubt wurde, denn der Nyx hat sie sehend gemacht.« Verachtung für die Menschen schwang in ihrer Stimme mit. »Die Menschen waren einfältig. Gutgläubig. Was haben sie denn geglaubt, was der Lebensbaum ihnen geben würde?«
    Niemand hatte ihr auf diese Frage geantwortet.
    Also fuhr sie fort, während wir den Weg nach London hinaufgingen.
    »Pairidaezas Stock trug die Früchte, die den Menschen die Augen öffneten. Der Träumer hatte eine Horde dummer Kreaturen geschaffen, die ihm zu Diensten sein sollten. Doch hatten sie erst einmal von den süßen Früchten des Lebensbaumes gekostet, so veränderten sie sich.«
    »Der Nyx köderte die Menschen

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