Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
Werwölfen, die sich seltsamerweise nicht von der Stelle rührten. Ihre Krallen scharrten im Schnee, und die roten Augen funkelten uns gierig an.
    Zwei oder drei der Kreaturen würde ich zu fassen bekommen, aber nicht alle. Bei einem Kampf wären wir eindeutig die Unterlegenen. Ich wusste es. Emily wusste es. Und die Werwölfe wussten es mit Sicherheit auch. Umso erstaunlicher war das Verhalten, das sie zeigten. Warum schlugen sie nicht einfach zu, wie es den Gepflogenheiten ihrer Art entsprach? Es war in höchstem Maße ungewöhnlich, dass sie vor dem Reißen der Beute innehielten.
    »Da!«
    Emily hatte es noch vor mir bemerkt.
    Ein schwarzer Werwolf mit einer langen Narbe zwischen den dunkelroten Augen trottete langsam auf uns zu. Er löste sich aus dem Rudel. Als er ein lautes Heulen anstimmte, in das die anderen einstimmten, spürte ich, wie das Mädchen hinter meinem Rücken zitterte. Ihre Hände hatten sich in meinen Mantel gekrallt, und ich konnte ihren schnellen Atem spüren.
    »Was machen die nur?«, flüsterte Emily.
    Die Werwölfe, denen sie zuvor zu begegnen das Pech gehabt hatte, waren viel aggressiver gewesen. Unbeherrschter. Sie suchte nach dem passenden Ausdruck. Animalischer, fand sie ihn schließlich.
    Ohne den Blick von den Kreaturen abzuwenden, flüsterte ich: »Fragen Sie nicht.«
    »Danke«, erklang es von hinten.
    Oh, dieses Kind!
    Der schwarze Werwolf sah mich direkt an. Da war etwas in den wilden Augen, das nicht wild zu sein schien. Als wäre der Funken, der Zähne an blutigem Fleisch reißen lässt, im Erlöschen begriffen. Etwas Menschliches schimmerte in der rot glühenden Pupille des Wesens.
    Dennoch machte ich mich bereit.
    Rechnete damit, dass das Tier uns anspringen und der Rest des Rudels ihm folgen würde.
    Nichts dergleichen geschah.
    Der schwarze Werwolf schnappte keuchend nach Luft und heulte erneut laut auf. Dann knurrte er, und das Knurren wurde zu einem Jaulen. Schmerzerfüllt wehklagte die Kreatur, rieb die lange Schnauze im Schnee, der sich dunkelrot färbte, und kratzte sich mit den krallenbewehrten Klauen die Haut vom Kopf.
    Emily erstickte einen Schrei in der Hand.
    »Seien Sie still!«
    Fetzen blutigen Fells fielen zu Boden, als das Tier fortfuhr, sich mit mächtigen Bewegungen selbst zu verletzen. Die Form der Schnauze veränderte sich, wurde zu etwas, das entfernt wie eine Nase aussah, aus der dunkle Haare sprossen. Die Lefzen, an denen Haarbüschel hingen, zogen sich zu unnatürlich breiten Lippen zusammen. Aus den Vorderläufen formten sich dürre Gebilde, die menschlichen Händen mit langen, gelben Krallen ähnelten. Ein menschliches Gesicht mühte sich, Gestalt anzunehmen. Es bewegte sich unter der dünnen Haut des Wolfes, und die Lefzen, die noch keine richtigen Lippen waren, formten gutturale Worte.
    Er begrüßt uns, dachte Emily benommen.
    Immer noch ängstlich.
    »David«, knurrte der menschliche Wolf oder wölfische Mensch schließlich.
    Emily fand nicht, dass er wie ein Mensch aussah.
    Nicht einmal wie ein Wolfsmensch.
    Er sah aus wie etwas, von dem man träumt und schweißgebadet erwacht. Etwas, an das man sich nicht mehr erinnern kann, weil der Verstand sich weigert, auch nur daran zu denken, dass so etwas existieren könnte. Der Werwolf, der sprach, sah schrecklich aus.
    Immerhin hatte er uns nicht angesprungen.
    »Hallo, David!«, sagte ich.
    Der Werwolf atmete laut. Die kontrollierte Rückverwandlung, die nicht alle seiner Art beherrschen, erschöpfte ihn und war schmerzhaft, wie die menschlichen Züge in dem tierischen Gesicht vermuten ließen.
    »Folgt uns!«, keuchte der Werwolf.
    Emily schluckte.
    »Schickt euch Kensington?«, fragte ich.
    Die Kreatur nickte.
    »Mylady Lilith«, verkündete ich dem Werwolf, »hat uns sicheres Geleit zugesagt.«
    Die anderen Werwölfe knurrten.
    Wurden unruhig.
    David senkte den Kopf.
    Leckte sich mit einer schwarzen Zunge über das Gesicht.
    »Folgt uns!«, wiederholte er. Das Sprechen schien ihm Mühe zu bereiten.
    »Wohin bringt ihr uns?«
    Eine Frage zu viel.
    Emily hatte es geahnt.
    David sprang vor, und die Schnelligkeit der Kreatur ließ uns erschrocken zurückweichen. Fast wären wir beide zu Boden gefallen. Es war ein Angriff. Zumindest hatte es so ausgesehen. Wäre es tatsächlich einer gewesen, hätten wir die Attacke des Werwolfes gewiss nicht überlebt.
    Nunmehr auf zwei Beinen vor uns stehend fauchte David ungeduldig: »Folgt uns!« Die Augen des Werwolfs verloren mit einem Mal alles Menschliche, und

Weitere Kostenlose Bücher