Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas
Welt.
Nimmer.
Unwillkürlich musste sie an den Raritätenladen denken.
An die gemütliche Ecke, in der sie Stunde um Stunde verbracht und in den Büchern geschmökert hatte, die zu kaufen niemand Anstalten machte. An den Jungen, Neil Trent, den Aurora Fitzrovia so sehr mochte und der ihr selbst ein guter Freund war. Nicht mehr, und bestimmt auch nicht weniger. Wie gerne hätte sie Auroras Gesicht gesehen, als von dem Jungen aus dem Raritätenladen die Rede gewesen war. Das Erstaunen. Die Verlegenheit. Emily erinnerte sich, dass Aurora sich immer nervös an den Augenbrauen gezupft hatte, wenn sie unsicher oder aufgeregt gewesen war.
Ja, der alte Raritätenladen war der einzige Ort, an dem sie sich je zu Hause gefühlt hatte. Dieser kleine Laden in dem alten, windschiefen Haus mit dem spitzen Dach voller verwitterter Ziegel drüben in der Gasse am Cecil Court.
Der Raritätenladen, der war wie sie.
Trunken von Büchern.
Dort würde sie es aushalten.
Wenn dies alles überstanden wäre.
Wenn …
Kapitel 13
King’s Moan
»Wir werden unverzüglich aufbrechen«, teilte ich den beiden Mädchen mit, die meine Ankunft im mittlerweile vollständig verlassenen Lesesaal sehnsüchtig erwartet hatten. Erschöpft wirkten sie noch immer, und das, obwohl sie die letzten Stunden schlafend wie die Steine in einem Bett aus der Tudorzeit unten im Zentrallager verbracht hatten, während wir Erwachsenen die nächsten Schritte planten. Emily trug noch immer die Sonnenbrille, die ich ihr gekauft hatte. »Sie beide«, fuhr ich fort, »werden in Marylebone unsere Rückkehr abwarten.« Dinsdale, das Irrlicht, das sich die ganze Zeit über in einer der Lampen im Büro des Elfen gestärkt und ausgeruht hatte, schwebte vor mir. Maurice Micklewhite und Miss Monflathers folgten mir auf dem Fuß.
Emily schaute in die Richtung, aus der sie mich sprechen hörte.
»Was passiert mit Mara?«
»Wir werden uns um sie kümmern«, versprach Miss Monflathers.
»Sie werden sie nicht einmal finden«, antwortete Emily aufgebracht. »Ich muss sie begleiten.«
Entschieden sagte ich: »Nein!«
Wenngleich ich mich, das sollte ich anmerken, in dieser Angelegenheit der Meinung Miss Monflathers’ und Maurice Micklewhites beugte. Versöhnlicher fügte ich deswegen hinzu: »Miss Mara wird bereits im Abgrund von Blackheath sein, und dort werden wir sie finden.«
»Und wie wollen Sie das anstellen?«
»Es ist zu gefährlich«, betonte Maurice Micklewhite ausweichend. »Wir wissen nicht, was uns dort unten erwartet.«
Emily sagte laut: »Ja, und außerdem bin ich blind.«
Dieses Kind!
Sie besaß ein Talent, die Dinge auf den Punkt zu bringen.
»Aurora kann mir helfen«, versuchte es Emily. »Sie kann mich führen.«
Ihre Freundin bestätigte diesen Vorschlag mit einem Nicken.
Miss Monflathers bestand jedoch darauf: »Es ist dennoch zu gefährlich.«
»Sie sagen nicht die Wahrheit«, beschuldigte Emily mich mit einem Mal.
Wie gut sie mich mittlerweile doch kannte.
»Denken Sie das nicht von mir, Miss Laing.«
Waisenkinder haben ein Ohr für Lügen.
»Es ist beschlossene Sache«, beendete ich die Diskussion.
»Dass ich hier bleiben muss, während Sie in die uralte Metropole hinabsteigen?« Sie stand auf. Stützte sich mit beiden Händen auf der Tischplatte ab. »Es ist meine Schwester, um die es hier geht. Niemand von Ihnen wird sie finden.« Während der letzten halben Stunde hatte Emily mehrmals versucht, Kontakt zu dem kleinen Mädchen aufzubauen. Erfolglos. Entweder war Mara, was Emily hoffte, noch immer ohne Bewusstsein, oder aber sie war bereits tot, woran ihre Schwester nicht einmal zu denken wagte.
Ich schwieg geflissentlich.
Wollte ich, dass sie mich durchschaute?
»Sie alle haben sie aufgegeben, nicht wahr?« Mühsam hielt sie das Beben in ihrer Stimme im Zaum.
Ich zog es vor, nicht auf diese Frage zu antworten.
»Sie haben Mara abgeschrieben!«
»Wir haben eine Entscheidung getroffen«, sagte ich ihr.
Sie zog die Stirn kraus.
»Wir?«
»Ja. Wir drei. Allesamt.«
»Gemeinsam«, sagte Miss Monflathers.
»Auch Sie, Wittgenstein?«
»Oh, fragen Sie nicht.« Erinnerte sich Emily an das, was ich ihr erzählt hatte? »Ich werde mich der Entscheidung, die unsere Gruppe getroffen hat, nicht entgegenstellen.«
Mit einem Mal hielt Emily inne.
Überlegte.
»Sie beugen sich dieser Entscheidung, wie Sie sich damals der Entscheidung des Senats gebeugt haben?« Es war nicht einmal eine Frage.
Kluges Kind!
»Ja.«
Sowohl Miss
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