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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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atmete tief durch. Man konnte die Anspannung in der warmen Luft um uns herum spüren. Ich bemerkte das Messer am Gürtel des Wirts und war mir sicher, dass er es gebrauchen würde, um uns von unserem Vorhaben abzubringen.
    »Am Tage ist es sicher«, sagte Eva mit fester Stimme.
    »Und der Kutscher?«, gab ich zu bedenken. »Wir haben alle seine Schreie gehört.«
    »Er ist tot, aber wir werden seinen Leichnam nicht finden«, antwortete Eva.
    »Weil er zu einem Vrolok geworden ist?«, stichelte der Doktor.
    Schweigend wurden Blicke getauscht.
    »Vielleicht«, schaltete sich Tibor ein, »sollten wir nun den Rest der Geschichte hören.«
    Ich gab ihm Recht. »Ja, wir sollten alles erfahren, bevor wir nach draußen gehen.« Das war jedenfalls die diplomatischste Lösung.
    Doktor Pickwick und Tom erklärten sich einverstanden. Herr Vályi entspannte sich sichtlich und nahm erneut Platz am Tisch. Während wir, die Gedanken bei dem Kutscher und den Dingen, die ihm wohl widerfahren waren, betroffen schwiegen, servierte uns Frau Vályi Rotwein. »Gegen den Schrecken«, übersetzte Tibor ihre Worte. Dazu gab es einen großen Teller mit Schwarzbrot und Käse. Erst jetzt bemerkte ich, wie hungrig mich die lange Reise gemacht hatte. Dennoch schien mir dies nicht der geeignete Moment zum Speisen zu sein. Meine Hände zitterten noch, sodass ich kaum das Glas halten konnte. Ich ertappte mich dabei, fortwährend nach leisen Geräuschen an den Fensterläden zu horchen.
    »Nach dem Verschwinden der Bauern«, lauschten wir Evas Stimme, »kam die Krankheit über das Dorf.«
    Unwillkürlich dachte ich an Ägypten. An Tut-ankh-Amen und Vathek und Nefer-titi. An die Schlafkrankheit, wie sie in Memphis genannt worden war.
    »Eines der ersten Opfer war Anikó Szentesi, des Bürgermeisters Frau. Sie klagte über fortwährende Müdigkeit und Kopfschmerzen. Des Nachts wälzte sie sich unruhig im Bett umher und fand keinen Schlaf. Ihre Haut wurde fahl, und sie begann das Tageslicht zu meiden. Helligkeit tat ihren Augen weh und ließ einen rötlichen Ausschlag die Haut befallen.«
    Doktor Pickwick kratzte sich am Kinn und schien jedes Wort aufzusaugen.
    »Dann, nach einigen Tagen, begannen ihr die Haare in dicken Büscheln auszufallen. Sie verweigerte jegliche Nahrungsaufnahme und wurde mager, kraftlos. Nach zwei Wochen qualvollen Dahinsiechens verstarb sie.« Eva atmete tief durch bei der Erinnerung an Frau Szentesi. »Die Menschen begannen, von einer Stregoica zu sprechen.«
    »Das ist eine Hexe, die nachts an die Betten der Schlafenden kommt und sie küsst und so zu ihresgleichen macht«, erklärte Tibor.
    »Zu Kindern der Nacht«, murmelte Tom, der Rymer und LeFanu gelesen hatte und als Kind ganz beeindruckt von Lord Byron gewesen war.
    Ich warf ihm einen tadelnden Blick zu. Sein Zynismus war hier fehl am Platz.
    »Wir mussten nun alle um unser Leben fürchten«, fuhr Eva fort. »In den Wäldern hausten die Vrolok und kamen nach Einbruch der Dunkelheit aus ihren Verstecken, um sich über das Vieh und unvorsichtige Wanderer herzumachen. Die Krankheit, von der wir annahmen, dass sie etwas mit den Vrolok zu tun hatte, griff im Dorf um sich, ohne dass wir eine Regelmäßigkeit erkennen konnten.«
    »Welchen Alters waren die Befallenen?«, wollte der Doktor wissen.
    »Alte, Kräftige, Schwache, Kinder, Säuglinge«, zählte Eva auf. »Sie alle waren gleichermaßen betroffen.«
    Ich dachte an die Erzählung al-Bekrs und die Krankheit, die in den Straßen und Gassen von Memphis ihr Unwesen getrieben hatte. Konnte es tatsächlich möglich sein, dass es einen roten Faden gab, der sich über all die Jahrhunderte durch die Geschichte zog?
    »Was geschah mit dem Bürgermeister?«, fragte Tom.
    »Dieser Feigling«, schimpfte Eva. »Er hat es mit der Angst zu tun bekommen und hat Reißaus genommen, nachdem er der Gräfin einen Besuch abgestattet hatte, um von ihr Hilfe zu erbitten.«
    »Der Gräfin?«, hakte ich nach.
    Eva nickte beiläufig. »Gräfin Hunyady lebt seit fünf Jahren dort oben am
Isten Szek
. Als die Ungarn vor fünf Monaten Siebenbürgen an Rumänien verloren, blieb sie dennoch auf ihrer Burg. Sie schert sich nicht viel um die Politik der großen Mächte. Sitzt da oben und verwaltet ihre Ländereien. Aghiresu gehört noch immer zu ihrem Besitz.«
    »Und? Gewährte sie Hilfe?«, fragte Tom.
    »Niemand erfuhr, was die Gräfin geantwortet hat. Nachdem Gyözö Szentesi vom Berg zurückgekehrt war«, berichtete uns Eva, »verkroch er sich in

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